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Mittwoch, Oktober 09, 2019
Recht von Barbaren
Ein Artikel zum "Recht von Barbaren" wird derzeit geschrieben. Jean Ziegler schreibt in seinem Buch "Ändere die Welt" von einer kannibalischen Weltordnung, die verändert werden könne, wenn die Menschen ihre verfassungsgemäßen Rechte nur nutzen würden. Wie das gehen soll, schreibt er nicht. An dieser Stelle kann aber bereits angemerkt werden, dass nur ein Recht von Barbaren in der Lage ist, eine kannibalische Weltordnung durchzusetzen.
Der Begriff Barbar entstammt dem griechischen Begriff barbarosund und bezog sich ursprünglich auf diejenigen, die kein Griechisch sprachen. Diese Menschen wurden als minderwertig betrachtet. Daher war die Unterscheidung zwischen den überlegenen zivilisierten Völkern Griechenlands und den minderwertigen Barbaren an der Peripherie wesentlicher Bestandteil griechischen und lateinischen Denkens. Plato vertrat eine Doktrin der natürlichen Sklaverei, bei der er davon ausging, daß die Griechen das Recht hatten, die Barbaren entweder zu töten oder zu Sklaven zu machen. In den Werken Strabos (etwa 64 v. Chr. bis 24 n. Chr.) erlebte diese Version der Unterscheidung zwischen Barbarei und Zivilisation ihren Höhepunkt. Strabo hatte in Rom studiert und vertrat eine sehr romanische Weltanschauung. Sein 17 Bände umfassendes Werk Geographie stellt die Barbarei als Verkörperung einer verkehrten Welt dar – im Gegensatz zu der der Griechen und Römer, die eine Lebens- und Produktionsweise entwickelt hatten, die zivil war. In seiner Theorie der Barbarei ist der geographische Unterschied mit dem Unterschied in den Produktionsweisen verbunden. Die zivilisierten Völker besiedelten demnach die fruchtbarsten Böden, auf denen eine seßhafte Landwirtschaft zu betreiben möglich war. Und im Gegensatz zu diesen zivilisierten, Brot essenden Menschen – hauptsächlich Stadtbewohnern und Bauern, die in Stadtnähe wohnten – waren die Barbaren kämpferische Nomaden, die sich von Fleisch und Milchprodukten ernährten und ständig unter Waffen standen. Die Barbaren galten als Gewalt liebend und unter Umständen lebend, die ihnen keine Wahl ließen, außer der, zu plündern und zu stehlen. Daher nahm der Begriff Barbarei zwei verschiedene Bedeutungen an, die sich jeweils auf zwei verschiedene Vorstellungen von Zivilisation bezogen.
Wo Zivilisation gleichbedeutend war mit Stadtbewohner, war Barbarei gleichbedeutend mit Nicht-Stadtbewohner, mit Peripherie. Und wo Zivilisation gleichbedeutend war mit Recht und Kultur, verkörperte die Barbarei den Mangel an beidem und die Herrschaft der Brutalität.
Die Barbaren waren für unkonventionelle Kriegführung bekannt. Mit der wohlorganisierten römischen Armee konfrontiert, »führten sie in Sümpfen, in Wäldern ohne Wege und in Wüsten einen Guerilla-Krieg«. Aber der wesentliche trennende Aspekt zwischen der Zivilisation und den Barbaren war – so Strabo – nicht dies, sondern die unterschiedliche Produktionsweise. Diese hatte ihre Ursache vor allem in den geographischen Bedingungen. Die barbarische Bevölkerung lebte in den weniger fruchtbaren, bergigen, nördlichen Regionen, die ans Meer grenzten. Eine gewisse Entwicklungsfähigkeit konzedierte Strabo dabei der barbarischen Bevölkerung durchaus – und zwar insofern, als sie lernte, zivilisiertere Produktionsweisen zu kultivieren. Einige Barbaren beschrieb er sogar als »nicht mehr barbarisch«, weil sie römische Lebens- und Produktionsweise einführten. Insbesondere dann, als sie mit der Produktion von Fleisch und Rohstoffen für die Römer begannen, wurden sie als »zivilisierter« angesehen. Während sich in der griechischen und lateinischen Literatur das Konzept »Zivilisation gegen Barbarei« um die Idee eines Zentrums hier und einer Peripherie da rankte, betrachteten die frühen Sozialisten, die im Feudalismus, der in Westeuropa auf das römische Imperium folgte, eine tausendjährige universelle Barbarei sahen, die Barbarei als ein Entwicklungsstadium, das sich keineswegs nur auf diePeripherie beschränkt.
Der französische utopische Sozialist Charles Fourier war der Auffassung, daß es sich bei der Barbarei um ein Stadium handele, das dem der Zivilisation unmittelbar vorangehe. Die Barbarei – so Fourier – zeichne sich durch Gewalt und die Versklavung der Frau aus. Ihren Höhepunkt habe sie in der Massensklaverei gefunden. Die auf die Barbarei folgende Zivilisation, die er durch monogame Heirat und die bürgerlichen Freiheiten der Frau sowie durch die Entwicklung der Großindustrie und des damit verbundenen Klassenkampfes charakterisiert sah, sei freilich in vieler Hinsicht genauso brutal wie die Barbarei, ja sogar noch raffinierter in der Form. Tatsächlich – meinte Fourier – verschärfe die Zivilisation die Ausbeutung der Weltbevölkerung und bringe immer mehr bewaffnete Konflikte hervor. »Kriege und Revolution«, so schrieb er, »entbrennen unaufhörlich auf der ganzen Erde. Die eben erst beschworenen Stürme brechen von neuem los, wie die Köpfe der Hydra unter den Streichen des Herkules sich verdoppelten. Der Friede ist trügerisch, ist nur ein kurzer Traum. Die industrielle Tätigkeit ist für das Volk zur Qual geworden, seit eine Pirateninsel die Verbindungen abschneidet, die Kultivierung zweier Kontinente hemmt und die Werkstätten zu Armenasylen macht. (…) der Krämergeist hat dem Verbrechen neue Bahnen eröffnet. Mit jedem Krieg zerrüttet er die beiden Hemisphären und verbreitet den Skandal zivilisierter Habsucht bis unter die Wilden. Unsere Schiffe befahren die Weltmeere, nur um die Barbaren und Wilden an unseren Lastern, unserer Raserei teilnehmen zu lassen. Je näher ihr Fall bevorsteht, desto abscheulicher wird die Zivilisation. Die ganze Welt ist nur noch ein nichtswürdiges politisches Chaos. Sie ruft nach einem neuen Herkules, der sie von den gesellschaftlichen Auswüchsen befreien soll, die sie entehren.«
Die Folge dieser globalen und in gewisser Hinsicht noch immer barbarischen Produktionsweise waren Armut und Hungersnot für die große Mehrzahl der Weltbevölkerung auf der einen und die Bereicherung einer kleinen Anzahl von Menschen in den zivilisierten Nationen auf der anderen Seite. (siehe auch JOHN BELLAMY FOSTER, BRETT CLARK, Das Imperium der Barbarei, Utopie kreativ)