Der Pfad der Tränen

Indian Removal Act“


Die Soldaten kamen, umstellten unser Haus und trieben uns aus der Tür. Sie erlaubten uns nicht, irgendetwas mitzunehmen, nur die Kleider, die wir am Leib trugen.

Noch nie war ein friedlicher Stamm eines indigenen Volkes in den Vereinigten Staaten von Amerika derart gewaltsam verjagt worden, wie es den Cherokee 1838 geschah, und nie zuvor hatte die Aneignung von Indianerland einen so erbitterten öffentlichen Streit ausgelöst. Dabei entschied sich auch die Frage, ob in den USA Weiße mit Indianern zusammenleben wollten.

Denn konsequenter als irgendein anderer Stamm hatten sich die Cherokee für eine Strategie der Assimilation entschieden, als ihnen klar wurde, dass sie das Vordringen der Weißen nicht mit Gewalt aufhalten konnten. Aus Jägern wurden Viehzüchter, aus Ackerbau für die Selbstversorgung wurde Marktproduktion. Die Cherokee ersetzten Blutrache durch Gerichte und Dorfräte durch ein gewähltes Parlament, sie hatten Schulen, eine eigene Schrift und eine Zeitung.

Die US-Regierung unterstützte sie dabei – in der Hoffnung, dass sie sich taufen ließen, sich mit etwas Ackerland bescheiden und den Rest abtreten würden. Aber die Cherokee dachten nicht daran. Nur wenige wurden Christen. Eine neue Oberschicht besaß große Plantagen und hielt schwarze Sklaven. Der Stamm wollte keinen Fußbreit mehr von seinem Territorium abgeben, das Teile der Staaten Georgia, Alabama, Tennessee und North Carolina umfasste, er bestand auf seiner Souveränität und gab sich eine eigene Verfassung. Für Andrew Jackson, der 1829 US-Präsident wurde, gab es nur noch eine Lösung, die die Historikerin Heike Bungert auf den Punkt bringt: Die Indianer sollten weg.“

Die Cherokee – und alle übrigen Indianer, die noch in den damals vierundzwanzig Staaten der USA lebten – sollten weit nach Westen ziehen. Dies war das große Ziel für Jackson, der sie als Barbaren darstellte, die den gottgewollten Fortschritt aufhielten.

Wer würde ein von Wäldern bedecktes und von ein paar tausend Wilden durchstreiftes Land unserer Republik vorziehen, mit Städten und blühenden Farmen und allen Segnungen von Freiheit, Zivilisation und Religion?

Ganz im Sinne des Präsidenten waren jene Maßnahmen, mit denen Georgia die Cherokee in die Knie zwingen wollte: Der Staat erklärte die Verfassung der Cherokee für nichtig und begann, deren Land an Siedler zu verteilen. Die Cherokee wehrten sich gewaltlos:

Das ist das Faszinierende, das die Cherokees tatsächlich alle Mittel ausgeschöpft haben, die ihnen die Vereinigten Staaten mit ihrem politischen, juristischen System zur Verfügung gestellt haben. Dass sie sich eben an den Obersten Gerichtshof gewandt haben, wo sie das erste Mal ja verloren haben, wobei in dieser Entscheidung die sehr wichtige Definition von Indianern gegeben wurde, die heutzutage noch gilt: dass es eben ‚domestic independent nations‘ seien, also einerseits Nationen, aber andererseits Nationen auf amerikanischem Gebiet, abhängig von der US-Regierung, also diese Zwitterstellung, die die Indianergruppen heutzutage immer noch haben. Und in der zweiten Gerichtsverhandlung haben dann ja die Indianer gewonnen. Aber irgendjemand muss diese Gerichtsurteile ja durchsetzen, das hat die Regierung ja nicht getan.“

Einige Cherokee unterzeichneten schließlich einen Vertrag, der das ganze Volk zur Umsiedlung verpflichtete. Präsident Jackson wusste, dass sie nicht dazu autorisiert waren. Trotz der Proteste des Stammes und großer Empörung in der amerikanischen Öffentlichkeit erzwang die Regierung die Räumung der angestammten Gebiete. Im Mai 1838 trieben Soldaten 13.000 Cherokee mit blanken Bajonetten aus ihren Häusern und pferchten sie in eigens errichtete Forts. Am 6. Juni begann die Deportation der Indianer ins heutige Oklahoma, die letzte Gruppe brach im Dezember auf. Weit über tausend Kilometer lang war der „Trail of Tears“, der „Pfad der Tränen“.

(Ulrike Rückert, https://www.deutschlandfunk.de/der-pfad-der-traenen.871.de.html?dram:article_id=248405)

Es waren nicht die Einzigen, die damals diesen Pfad gehen mussten. Darüber schreiben Journalist*innen nicht gern. Es sollte schon einmalig in den Ohren klingen und so auch gelesen werden damit nicht erkannt wird, dass dieser Pfad unser Pfad ist, auf dem wir alle gehen. Auch die Menschen, die die Gewehre auf uns richten und uns begleiten, gehen den Pfad mit. Wie damals in der SS im Nazideutschlands haben sie sich für diesen Dienst beworben und werden dafür bezahlt und ausgestattet; daran wird sich nie etwas ändern solange ihr System herrscht, das Demokratie genannt wird, das aber eine Despokratie ist, so wie das Immanuel Kant ausgedrückt und gelehrt hat.

Nicht aber die Mächtigen, die in der politischen Vision der Postmoderne leben und ihr System „balance of power“ nennen, dem sie heute oft ein „convenience“ hinzufügen, weil das ihr System besser beschreibt: Sie verdienen heute weltweit an den zahlreichen Revolten der Menschen und notieren ihr Geschäftsmodell der Niederschlagung dieser weltweiten Revolten inzwischen an den Börsen.

Diese Menschen sich nicht auf dem Pfad. Ihre Schergen werden ihnen berichten, wie es den Menschen dort geht. Sie werden vermutlich auch von den Tränen der Menschen erfahren, die den Pfad gehen müssen, aber diese werden ignoriert.

Auf ihrem Eigentum von Grund und Boden verläuft der Pfad, den die große Mehrheit der Menschen gehen und auf dem sie die Menschen unterhalten. Mit ihren Waren wollen sie Manchem die Tränen wegwischen. Ihre Presse werden auf die fröhlichen Gesichter zeigen, die mit den Massen auf dem Weg sind; die sich angepasst haben und nichts mehr von den Tränen der anderen, die mit ihnen sind, wissen wollen. Die erziehen ihre Kinder auch anders und schwören auf den Begriff der Erziehung, der Anpassung an die gegebenen Verhältnisse. Nicht Empathie sondern Anpassung, die sich um Tränen nicht kümmern muss, sind die Ratgeber ihrer Erziehung. Sie unterhalten ihre Kinder wie die Mächtigen die Menschen unterhalten; ob sie uns treten oder uns durch ihre Warenhäuser treiben entscheidet der Salzgehalt der Tränen, der bei den Menschen nicht gleich ist. Bei einigen kann der Salzgehalt der Tränen auch gar nicht mehr festgestellt werden; die weinen schon lange nicht mehr.

Sie sind wütend und gehen auf die Straße wie die Gelbwesten in Frankreich heute auf die Straßen gehen. Sie können nicht mehr weinen weil sie wütend sind. Sie verstehen deshalb nicht, dass sie mit ihrer Wut die Mächtigen bestätigen; ihr System von „balance of power and convenience“ erhärten und neue Gesetze provozieren, die ihr künftiges Leben nur noch erbärmlicher macht als das jetzt schon ist. Sie tragen die Kämpfe auf ihrem Boden aus, einem öffentlichen Boden, der einen Eigentümer hat: den öffentlichen Eigentümer Staat, der eigentlich ihr Staat ist: Das steht in ihrer Verfassung.

Sie sind am Ende. Das Geld, dass neben dem Luxus, den sie leben, wird heute zunehmend in den Boden der Erde investiert. Das Geschäftsmodell „Produktion von Waren“ wird zunehmend unrentabel, weil die natürlichen Schranken längst um ein Vielfaches überschritten worden sind. Das Geschäftsmodell „Grundrente“, womit Pachten und Mieten gemeint sind und in das zunehmend weltweit große Vermögen investiert werden, hat aber eine Achillesverse: Der Boden gehört ihnen nicht. Sie investieren in eine Illusion. Der politische Kampf wird nur so lange toben, solange die Anderen, die Wütenden und Elenden, das Wahlvolk und die Einfältigen das Recht auf Eigentum an Boden anerkennen. Die Anderen, die Wütenden und Elenden, das Wahlvolk und die Einfältigen könnten einfach nur „Nein“ sagen. Sofort und ab heute und solange, bis ihre Absage an das Recht auf Eigentum an Boden zu einem kollektiven Nein angewachsen ist. In einer außerparlamentarischen Opposition kann sich das kollektive Nein organisieren.

Bis es soweit ist, bis die Achillesverse freigelegt ist, werden die Preise bezahlt werden müssen, die jetzt täglich steigen, weil der Kohlenstoffdioxidgehalt der Atmosphäre weiter täglich steigt und der Verbrennungskapitalismus nicht gedrosselt wird. Das haben sogar die Oligarchen verstanden, die unter sich gar keinen Hehl daraus machen, dass die Demokratien, von denen die Einfältigen träumen, in Wahrheit Oligarchien sind. Zuletzt aber haben sie sogar auf einem ihrer wenigen offiziellen Treffen in Davos gesagt, dass das System sich ändern muss, was zuvor bereits ein 15-jähriges Mädchen gesagt hat.

Alle Oligarchen sitzen heute in der Falle, die ihr Förderer Napoleon Bonaparte geschaffen hat: In der Falle des bürgerlichen Rechts, mit dem sie alle unsterblich werden wollten. Die Vision Napoleons ist nach gut 200 Jahren am Ende. Die Vertragsgesellschaft muss enden und sie wird enden.

Obwohl die extrem gestiegene Produktivität der Wirtschaft uns längst hätte zugute kommen können, werden die Preise für die Waren und täglichen Dienstleistungen unsere Lebensarbeitszeit verlängern. Die Logik des Kapitals kann nur von wenigen Privilegierten auf Kosten der Unterprivilegierten ausgetrickst werden.

Was aber sichert jetzt das Geld der Vermögenden, das jetzt, wenn es jetzt nicht mehr in nennenswerter Größe in den Zyklus Geld-Ware-Mehrgeld eingebracht werden kann und denen die Schuldscheine, die auf unsere Namen jahrelang vom Staat ausgestellt wurden, längst nichts mehr nützen, weil sie gar nicht eingelöst werden können?

Das ist der Grund, weshalb sie zunehmend den Boden weltweit aufkaufen. In Städten wie Paris und London, in denen teuerste Immobilien heute leerstehen, weil sie die Gelder der Menschen in den Städten nicht brauchen. Es geht ihnen längst nicht mehr nur um das Geld.

In den Landschaften, die für die Sicherung der Landwirtschaft, die für unser tägliches Brot immer gebraucht wird, sichern sie sich inzwischen auch den heute noch wertlosen Boden und erwerben Urkunden darüber, die angeben, dass es jetzt ihr Boden sei.

Der Zynismus ist erschreckend. Selbst tiefgefrorene Böden, die für alle, die den Pfad der Tränen gehen müssen, bisher so wertvoll waren, weil sie mit für ein Gleichgewicht des Klimas auf unserem Planeten sorgten, das über Jahrtausenden mit 280 ppm Kohlenstoffdioxidgehalt sogar nachgewiesen werden konnte, tauen auf und sie schauen zu. Diesen Wert, der seit sie mit der Ausbeutung der Erde im protestantischen England Mitte des 18. Jahrhundert begonnen haben täglich steigt, ignorieren sie und wollen ihn lediglich begrenzen. Ihre Geschäftsinteressen stellen sie vor das Gleichgewicht in der Natur.

Sie tun das zur Sicherung ihrer Macht; zu sonst gar nichts. Deshalb musste der Katholizismus weichen. Ein Katholizismus aber, der mit dem Klerus dem Paulus folgte. Ein wahrhafter Katholizismus kann ihre Macht beenden. Ein wirklicher Katholizismus unterschreibt nicht.

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