Dürfen wir noch die Urteile der NS-Schergen kommentieren?

Darf man einen Präsidenten eines Volksgerichtshofs, der im Namen des Volkes einem großen Volk einstmals vorsaß, einen NS-Schergen nennen? Kennen wir die Gesetze? Könnten nicht ehemalige Gesetze wieder hervorgezogen werden, die in Kriegszeiten erlassen und nicht, nach dem der Krieg aus war, ordentlich annulliert wurden?

Das Todesurteil über Franz Jägerstetter wurde erst 52 Jahre nach seiner Enthauptung im Jahr 1997 aufgehoben. Hätte einer denken können, dass dieses Urteil im Jahr 1996 noch rechtskräftig war? Warum tat sich die Justiz so schwer, das Erbe des Nationalsozialismus aufzuarbeiten? Die Alliierten haben doch die Rechtsgrundlage sofort beschlossen, dass alle Unrechtsurteile aufzuheben sind. Weshalb gingen sie nicht sofort ans Werk? Weshalb atmeten sie nicht die freie Luft, die wenigstens in den Tagen nach dem Krieg den Kriegsgeruch vertrieben hat?

Wir dürfen diese zynischen Urteile vielleicht nicht kommentieren. Es gibt hierzulande längst wieder Politiker, die diesen NS-Schergen Roland Freisler für einen ehrenhaften Mann und ehrenhaften Juristen halten. Dieser schrieb in sein Todesurteil gegen die Flugblattaktivisten der Weisen Rose, dass „der Volksgerichtshof weiß“ dass er „sich darin mit unseren Soldaten einig!“ sei. Wer waren damals „unsere Soldaten“ und worin waren sie sich einig?

Es waren andere Zeiten, fürwahr. Ein „unpolitischer Mensch“ war damals „überhaupt kein Mann!“ Zur Begründung eines Todesurteil wurde die Tatsache „defaitischtischer Gedanken“ herangezogen. Defaitistisch? Dieser Freisler schreibt über mich! Mein Buch Ende der Revolutionen beginnt mit einem Vorwort von Johannes Agnoli, der von der Aporie (Ausweglosigkeit, Hoffnungslosigkeit) spricht, von der ich auch befallen war bis diese Eiskerne untersucht wurden. Jetzt erst wandelte sich die Aporie in Hoffnung, dass der Mensch angesichts eines jetzt denkbaren Ende der Menschheit zur Vernunft findet, dass endlich eine Ratio einkehrt und die Menschen künftig anders miteinander reden; weniger politisch sondern menschlich. Ich sehe aber wirklich schwarz, wenn ich höre und lese, dass die Menschen jetzt wieder ordentlich arbeiten und alles Versäumte aufholen wollen, was das Bruttosozialprodukt während der Corona-Krise gesenkt hat. Das aber doch noch weiter gesenkt werden muss, wenn die Ratio am Tisch Platz nimmt und derartiges angesichts der entstehenden Verbrennungsgase ungezügelter Warenproduktion fordert. Weniger Arbeit ist das Gebot der Stunde, nicht Mehrarbeit. Über mich schreibt dieser Freisler in seinem Urteil.

Meine Forderungen „im Sinne liberaler Formaldemokratie“ stehen auch da drin“! „Mit dem Freiheitskampf gegen Napoleon (1813) bin ich nicht nur deckungsgleich mit den Forderungen der Weisen Rose; ich sage sogar, dass wenn dieser Freiheitskampf endgültig verloren geht und Napoleon seinen Code Civil, den er selber als „ewiglich geltend“ provokant behauptet hat, dass die Menschen verloren sind. Nicht ich bin verloren: Die Menschen sind verloren.

Die Pflicht vorbildlicher Gemeinschaftsarbeit“, die heute immer mehr mit der Arbeitsgesellschaft begründet wird und der Nachfolgestaat des NS-Regiems bereits die ehemaligen Stundentafeln in den Schule immer mehr zugunsten einer Berufsausbildung gekürzt hat und die Kinder immer früher auf das Arbeitsleben vorbereitet, das steht auch im Urteil: Die „Fürsorge des nationalsozialistischen Reichs für seine Berufsausbildung“, wortwörtlich!

Dem deutschen Volk seine nationalsozialistische Lebensart (…) zu nehmen“ war ein Verbrechen, das nur mit dem Tode bestraft werden konnte. Aber nehme ich heute dem Volk nicht ähnliches, wenn ich die Lebensart einer Arbeitsgesellschaft beständig kritisiere? Dass ich mir „einbilde, dass nur so das deutsche Volk durch den Krieg durchkommen könne!!“ wenn also ein Systemwechsel gelingt? Gut, ich schreibe nicht vom Krieg sondern von einem Systemwechsel. Aber bedeutet das nicht auch für einige Menschen Krieg? Inständig hoffe ich, dass es jetzt angesichts der großen Krise nicht zu einem Krieg kommt, aber wir kommen nicht weiter, wenn Systemwechsel nicht schnell gelingt. Das wäre dann wieder dieser Defätismus, mit dem ich damals mit Sicherheit meinen Kopf verloren hätte, „weil (ich mir) einbildete, dass nur so das deutsche Volk durch den Krieg durchkommen könne!!“ und durch Bezugnahme auf – Roosevelt! Und hat dies sein Wissen vom Abhören englischer Sender!“ ;und hatte vor „ein Manuskript zu liefern, das dem deutschen Volk die Augen öffne!“ Damit ist bewiesen, er beabsichtigte „einen ersten Riß in die geschlossene Einheit“ zu wagen, was ihm aber nicht gelingen wird.

Das verstehe ich jetzt: Ohne Kopf kann auch ich nicht mehr sprechen.



Das Todesurteil gegen Hans und Sophie Scholl sowie gegen Christoph Probst vom 22. Februar 1943 im Wortlaut und mit Begründung.

In Namen des Deutschen Volkes
In der Strafsache gegen

1.) den Hans Fritz S c h o l l aus München, geboren in Jngersheim am 22. September 1918,
2.) die Sophia Magdalena S c h o l l aus München, geboren in Forchtenberg am 9. Mai 1921,
3.) den Christoph Hermann P r o b s t aus Aldrans bei Jnnsbruck, geboren in Murnau am 6. November 1919,

zur Zeit in dieser Sache in gerichtlicher Untersuchungshaft,
wegen landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat,
Wehrkraftzersetzung
hat der Volksgerichtshof, 1. Senat, auf Grund der Hauptverhandlung vom 22. Februar 1943, an welcher teilgenommen haben
als Richter:

Präsident des Volksgerichtshofs Dr. Freisler, Vorsitzender,
Landgerichtsdirektor Stier,
SS-Gruppenführer Breithaupt,
SA-Gruppenführer Bunge,
Staatssekretär und SA-Gruppenführer Köglmaier,
als Vertreter des Oberreichsanwalts:
Reichsanwalt Weyersberg,
für Recht erkannt:

Die Angeklagten haben im Kriege in Flugblättern zur Sabotage der Rüstung und zum Sturz der nationalsozialistischen Lebensform unseres Volkes aufgerufen, defaitistische Gedanken propagiert und den Führer aufs gemeinste beschimpft und dadurch den Feind des Reiches begünstigt und unsere Wehrkraft zersetzt. Sie werden deshalb mit dem T o d e bestraft.

Jhre Bürgerrechte haben sie für immer verwirkt.

Gründe

Der Angeklagte Hans Scholl hat seit Frühjahr 1939 Medizin studiert und steht – Dank der Fürsorge der nationalsozialisten Regierung – im achten Semester. Zwischendurch war er im Frankreichfeldzug in einem Feldlazarett und von Juli bis November 1942 an der Ostfront im Sanitätsdienst tätig.

Als Student hat er die Pflicht vorbildlicher Gemeinschaftsarbeit. Als Soldat – er ist als solcher zum Studium kommandiert – hat er eine besondere Treuepflicht zum Führer. Das und die Fürsorge, die gerade ihm das Reich angedeihen ließ, hat ihn nicht gehindert, in der ersten Sommerhälfte 1942 Flugblätter "der weißen Rose" zu verfassen, zu vervielfältigen und zu verbreiten, die defaitistisch Deutschlands Niederlage voraussagen, zum passiven Widerstand der Sabotage in Rüstungsbetrieben und überhaupt bei jeder Gelegenheit auffordern, um dem deutschen Volk seine nationalsozialistische Lebensart und also auch Regierung zu nehmen. Das, weil er sich einbildete, das nur so das deutsche Volk durch den Krieg durchkommen könne!!

Von Russland im November 1942 zurückgekehrt, forderte Scholl seinen Freund, den Mitangeklagten Probst auf, ihm ein Manuskript zu liefern, das dem deutschen Volk die Augen öffne! Einen Flugblattentwurf wie gewünscht lieferte Probst dem Scholl auch tatsächlich Ende Januar 1943.

In Gesprächen mit seiner Schwester Sophia Scholl entschlossen sich beide, Flugblattpropaganda im Sinne einer Arbeit gegen den Krieg und für ein Zusammengehen mit den feindlichen Plutokratien gegen den Nationalsozialismus zu treiben. Die beiden Geschwister, die ihr Zimmer bei derselben Vermieterin hatten, verfassten gemeinsam ein Flugblatt "an alle Deutschen". In ihm wird Deutschlands Niederlage im Krieg vorausgesagt, der Befreiungskrieg gegen das "nationalsozialistische Untermenschentum" angesagt und werden Forderungen im Sinne liberaler Formaldemokratie aufgestellt. Außerdem verfassten die Geschwister ein Flugblatt "deutsche Studentinnen und Studenten" (in späterer Auflagen "Kommilitoninnen und Kommilitonen"). Sie sagen der Partei Kampf an, der Tag der Abrechnung sei gekommen, und scheuen sich nicht, ihren Aufruf zum Kampf gegen den Führer und die nationalsozialistische Lebensart unseres Volkes mit dem Freiheitskampf gegen Napoleon (1813) zu vergleichen und auf ihn das Soldatenlied "frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen" anzuwenden!!!

Die Flugblätter haben die Angeklagten Scholl teilweise mit Hilfe eines Freundes, des Medizinstudenten Schmorell, vervielfältigt und in allseitigem Einvernehmen verbreitet:

1. Schmorell fuhr nach Salzburg, Linz, Wien und warf dort 200, 200, 1200 adressierte Flugblätter für diese Städte und in Wien außerdem 400 für Frankfurt am Main in Briefkästen.
2. Sophia Scholl warf in Augsburg 200 und ein andernmal in Stuttgart 600 in Postbriefkästen.
3. Nachts streute Hans Scholl zusammen mit Schmorell Tausende in Münchner Straße aus.
4. Am 18. Februar legten die Geschwister Scholl 1500 – 1800 in der Münchener Universität in Päckchen ab und Sophia Scholl warf einen Haufen vom 2. Stock in den Lichthof.

Hans Scholl und Schmorell haben auch am 3. 8. und 15.2.43 nachts an vielen Stellen Münchens, so vor allem auch an der Universität, Schmieraktionen mit den Inschriften "Nieder mit Hitler", "Hitler der Massenmörder", "Freiheit" durchgeführt. Nach der ersten Aktion erfuhr das Sophia Scholl, war damit einverstanden und bat – freilich vergeblich – künftig mitmachen zu dürfen!

Die Auslagen – im ganzen ungefähr 1000 Mark – haben die Angeklagten selbst bestritten.

Probst hat auch sein Medizinstudium im Frühjahr 1939 begonnen und steht jetzt als zum Studium kommandierter Soldat im 8. Semester. Er ist verheiratet und hat 3 Kinder von 2 ½, 1 ¼ Jahren und 4 Wochen. Er ist ein "unpolitischer Mensch", also überhaupt kein Mann! Weder die Fürsorge des nationalsozialistischen Reichs für seine Berufsausbildung noch die Tatsache, daß nur die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik ihm ermöglichte, als Student eine Familie zu haben, hinderten ihn, auf Aufforderung Scholls "ein Manuskript" auszuarbeiten, das den Heldenkampf in Stalingrad zum Anlaß nimmt, den Führer als militärischen Hochstapler zu beschimpfen, in feigem Defaitismus zu machen, und dass dann in Aufrufform übergehend, zum Handeln im Sinne einer wie er vorgibt ehrenvollen Kapitulation unter Stellungsnahme gegen den Nationalsozialismus auffordert. Er belegt die Verheißungen seines Flugblatts durch Bezugnahme auf – Roosevelt! Und hat dies sein Wissen vom Abhören englischer Sender!

Alle Angeklagten haben das oben Festgestellte zugegeben. Probst versucht sich mit "psychotischer Depression" bei Abfassung zu entschuldigen; Grund hierfür sei Stalingrad und das Wochenbettfiber seiner Frau gewesen. Allein das entschuldigt eine solche Reaktion nicht.

Wer so, wie die Angeklagten, getan haben, hochverräterisch die innere Front und damit im Kriege unsere Wehrkraft zersetzt und dadurch den Feind des Reiches begünstigt (§ 5 Kriegssonderstraf VO und § 91b StrGB), erhebt den Dolch, um ihn in den Rücken der Front zu stoßen! Das gilt auch für Probst, der zwar behauptet, sein Manuskript habe kein Flugblatt werden sollen, denn das Gegenteil zeigt schon die Ausdrucksweise des Manuskripts. Wer so handelt, versucht gerade jetzt, wo es gilt, ganz fest zusammenzustehen, einen ersten Riß in die geschlossene Einheit unserer Kampffront zu bringen. Und das taten deutsche Studenten, deren Ehre allzeit das Selbstopfer für Volk und Vaterland war!

Wenn solches Handeln anders als mit dem Tode bestraft würde, wäre der Anfang einer Entwicklungskette gebildet, deren Ende einst – 1918 – war. Deshalb gab es für den Volksgerichtshof zum Schutze des kämpfenden Volkes und Reiches nur eine gerechte Strafe: die Todesstrafe. Der Volksgerichtshof weiß sich darin mit unseren Soldaten einig!

Durch ihren Verrat an unserem Volk haben die Angeklagten ihre Bürgerehre für immer verwirkt.

Als Verurteilte müssen die Angeklagten auch die Kosten des Verfahrens tragen.

gez. Dr. Freisler, Stier.


Nach Artikel II, Nr. 5 der Proklamation Nr. 3 des Alliierten Kontrollrats waren Verurteilungen, die unter dem Hitler-Regime ungerechterweise aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen erfolgt waren, aufzuheben. 


Es dauerte sehr lange, bis dieses Urteil aufgehoben wurde. Warum?


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