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Die Meinung eines Richters

Ich bin nicht allein

Der erfahrene Richter Udo Hochschild stellt, bezogen auf Bayern, nüchtern fest: „Eine politische Partei stellt die Mehrheit der Abgeordneten und dominiert das Parlament. Dieselbe Partei stellt die Regierung und beherrscht die Exekutive. Der Justizapparat untersteht der Regierung“:

– Der Justizminister ist für die Auswahl, Ernennung und Beförderung der Staatsanwälte zuständig, die seinen Weisungen unterworfen sind und von ihm in Dienstzeugnissen beurteilt werden.

– Der Justizminister ist für die Auswahl und Ernennung der Richter und der Gerichtsleiter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuständig, bestimmt die Art und Weise der periodischen Überwachung der Richter … in Geschäftsprüfungen, beurteilt ihre richterliche Tätigkeit in Dienstzeugnissen und entscheidet über ihre Beförderung an höhere Gerichte. „Diese Personalhoheit der Exekutive über die Richter ist Macht über die Lebenswege einzelner Menschen. Jeder Richter weiß, dass seine Karriere davon abhängt, ob seine Verhaltenweise der Regierung gefällt. Dies führt zu psychischen und zu sozialen Abhängigkeiten der Richter von der Politik.“

– Die Gerichtsleiter (Präsidenten und Direktoren) sind als Beamte den Weisungen des Justizministers unterworfen. In der Ausübung richterlicher Tätigkeit stehen sie den anderen Richtern gleich, in der Eigenschaft als Behördenleiter sind sie weisungsgebundene Ministerialbeamte im Außendienst und die Dienstvorgesetzten der Richter an ihrem Gericht (Dienstaufsicht).

– Entsprechendes gilt für die Arbeitsgerichtsbarkeit, die Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in Bayern der Dienstaufsicht des jeweiligen Fachministers unterstehen.

– Der Innenminister ernennt die Verwaltungsrichter aus den Reihen seiner Verwaltungsbeamten.

– Eine Mitwirkung oder Kontrolle von anderer Seite (etwa durch einen Richterwahlausschuss) ist bei alledem nicht vorgesehen.

Die Richter der letztinstanzlichen Bundesgerichte (Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht usw.) werden von einem Richterwahlausschuss gewählt, dem die Justizminister der Länder und 16 vom Bundestag gewählte Mitglieder angehören. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt, die abwechselnd auch den Präsidenten und den Vizepräsidenten bestimmen. Hier wirken also Exekutive und Legislative, bzw. die dort herrschenden Parten, in die Judikative hinein. Man wählt Mitglieder oder Nahestehende der Partei, damit auch dort die politische Linie der eigenen Partei berücksichtigt wird.

Um zu zeigen, welche Blüten das treiben kann, sei erneut folgender Fall dargestellt: Durch Urteile von 1966 und 1968 hatte das BVerfG der (von den Parteien 1959 eingeführten) staatlichen Parteienfinanzierung immerhin Grenzen gesetzt, eine öffentliche Kontrolle und die grundsätzliche Beteiligung auch außerparlamentarischer Parteien verlangt. Dies wurde von den Parlamentsparteien unterlaufen, indem enorm wachsende Zuschüsse nicht in die Parteikassen, sondern an die Fraktionen, Abgeordneten und Parteistiftungen flossen. Eine Klage der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), geführt von dem Staatsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim, wurde 2015 nach über dreijährigem schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung und ohne auf die Sache einzugehen, als unzulässig verworfen – und das nach mehr als dreijähriger Dauer des Verfahrens und gewechselten Schriftsätzen von über 300 Seiten. Der die Entscheidung vorbereitende Berichterstatter des 2. Senats war Peter Müller, vorher 12 Jahre CDU-Ministerpräsident des Saarlandes und langjähriges Präsidiumsmitglied der CDU, dessen Regierung vor der Landtagswahl 2009 mit Staatsgeldern unerlaubte Propaganda zugunsten der CDU betrieben hatte und der deshalb vom Verfassungsgericht des Saarlandes der Verfassungswidrigkeit überführt worden war.3 „Im Juli 2014 wurde Müller von seinen Richterkollegen einstimmig zum Berichterstatter des Dezernats „Wahlen und Parteienrecht“ gewählt.“ (Wikipedia)

Von einer Unabhängigkeit der Judikative von Exekutive und Legislative kann also keine Rede sein. Die Judikative hat im Gegensatz zu Legislative und Exekutive überhaupt keine eigene Verwaltung, die für die Besetzung der Gerichte sorgt. Sie ist in die Verwaltung der Exekutive eingegliedert und wird daher – trotz sachlicher Unabhängigkeit der Richter nach Art. 97 GG – von dieser dominiert. In hierarchischer Unterordnung unter einen Minister sind Richter in ihrer Lebensplanung von der Exekutive abhängig. Wer von der Regierung befördert werden will – womit jeweils erhöhtes Ansehen und erheblich höheres Gehalt verbunden sind – darf deren Erwartungen nicht enttäuschen. Und da die Regierung in der Hand der herrschenden Partei ist, und die Vorgesetzten, je höher sie in der Hierarchie stehen, in der Regel Parteimitglieder sind, empfiehlt sich auch eine Mitgliedschaft oder mindestens eine öfter mal geäußerte Sympathie und Nähe zu ihren politischen Zielen, wenn einem an Beförderungen gelegen ist. In noch höherem Maße als die Richter sind die Rechtspfleger von der Hierarchie der Regierung abhängig. Ihnen hat das Rechtspfleger-Gesetz zur Entlastung der Richter richterliche Tätigkeiten übertragen, in denen sie ebenso sachlich unabhängig sind. Sie sind Beamte des gehobenen Dienstes, in deren richterliche Entscheidungen kein Vorgesetzter und auch kein Richter eingreifen darf, die aber bei Missliebigkeit einfach mit anderen Tätigkeiten betraut oder an ein anderes Gericht versetzt werden können. Sie sind noch leichter als Richter zu „disziplinieren“. Interessanterweise hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates u.a. Deutschland 2009 aufgefordert, für die Justiz eine eigene Selbstverwaltung einzuführen und die Möglichkeit abzuschaffen, dass Justizminister der Staatsanwaltschaft Anweisungen zu einzelnen Fällen geben können.4 Die Parteien-verseuchte deutsche Politik ignoriert das bis heute. Warum wohl? Jetzt hat auch der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof, Manuel Campos Sánchez-Bordona, gerügt, dass bundesdeutsche Staatsanwaltschaften einem grundsätzlichen Weisungsrecht des Justizministeriums unterstehen. Dadurch fehle ihnen die notwendige Unabhängigkeit, um einen europäischen Haftbefehl zu erlassen, zu dem Staatsanwaltschaften in Europa befugt sind, die aber in den anderen Ländern unabhängig sind. In Deutschland dürfen nationale Haftbefehle nur – auf Antrag der Staatsanwaltschaft – von einem Richter ausgestellt werden. Es ist daher paradox, dass auf europäischer Ebene praktisch die deutsche Exekutive Haftbefehle erlassen kann.5 Die verwaltungsmäßige Abhängigkeit der Justiz und die weisungsgebundene speziell der Staatsanwaltschaft von der Regierung zeigt sich auch darin, dass sich „noch kein einziges Regierungsmitglied vor einem Gericht hat verantworten müssen. Weder Altkanzler Kohl bei seiner Verweigerung, Parteispender zu benennen, noch Altkanzler Schröder, der selbst zugab, beim Angriffskrieg gegen Jugoslawien das Völkerrecht gebrochen zu haben.“

Montesquieu warnte Mitte des 18. Jahrhundert eindringlich vor einem Herrschaftssystem, in dem der Justizapparat einer Exekutive, sowie auch einer Legislative untersteht. Er forderte eine konsequente Gewaltenteilung. Sein Hauptwerk über den Geist der Gesetze veröffentlichte er zur Vorsicht anonym. Nicht wegen der Verflechtung der Inquisition mit der Exekutive wurde es nach der Veröffentlichung vom Klerus auf den Index gesetzt. Das Kirchenrecht verlangte das zwingend aus anderen Gründen. Mit der Zustimmung zur Homosexualität widersprach er der herrschenden Lehre der römisch-katholischen Kirche. Wie die Richter heute hätten sie ihn verurteilen müssen. Sie hätten ihn verurteilt, nur weil er erkannt hat, dass die Liebe unteilbar ist. Gott liebt den Menschen und differenziert nicht nach dem Geschlecht. Das zu erkennen wurde der Inquisition damals und den Richtern heute, allerdings in anders gelagerten Fällen, aus durchaus vergleichbaren Gründen verboten: Sie gehorchen nicht dem herrschenden Recht. Eine Richterin oder ein Richter sollte aber völlig unabhängig vom Gesetz erst einmal mit der Angeklagten, bzw. dem Angeklagten sprechen und ergebnisoffen die zur Last gelegten Sachverhalte klären, bevor ein Urteil gefällt wird. Bereits diese Forderung würde den Boden für eine zivile Gesellschaft vorbereiten. Es geht den Richtern im modernen Staat jedoch in erster Linie darum, dass den Angeklagten die Zustimmung, dass die Fragestellung der Macht unter den Menschen eine legitime Angelegenheit sei und diese mit der Anerkennung des Gesetzes vom Angeklagten bejaht wird. Verneint ihr Objekt dieser Begierde, bleibt der Angeklagte Subjekt, wendet sich gar gegen das Gesetz und lässt sich trotz der Androhung von Strafen nicht objektivieren, verlieren sie ihre Macht, verliert der Teufel.

Hätte Montesquieu sein Werk vom Geist der Gesetze unter seinem Namen veröffentlich, wäre er von der Inquisition verfolgt worden. Das Kirchenrecht hätte das verlangt. Montesquieu aber liebte den Menschen wie Gott den Menschen liebt. Die Liebe kennt keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Er klärte darüber unerschrocken auf. Ein Gesetz, das die gleichgeschlechtliche Liebe verbietet, richtet sich gegen Gott und richtet sich gegen die Bergpredigt des Nazareners. Die wahrhaft menschliche Liebe hält keine Obrigkeit aus. Der Politiker hält sie aus. Wie Paulus singt er das Hohelied der Liebe und unterstützt all jene nicht, die im Nächsten den Bruder oder die Schwester sehen. Paulus kennt nur den Untertan, der unter fremdem Kommando arbeiten soll, um das Brot essen zu können. Der Mensch muss handeln, wenn er ohne Zwang leben will. Den modernen Richterinnen und Richtern sei geraten, dass sie sich auf Montesquieu besinnen und ihre Unabhängikeit stets mit dem (allerdings ohnmächtigen) Hinweis auf das Grundgesetz einfordern: Keine Mensch, der die Welt um sich erkennen kann, widerspräche dem Urteil einer Judikative, die wie Montesquieu die Liebe unter den Menschen zum Maßstab des Urteils erhebt. Nur die Obrigkeit wäre zurecht beunruhigt.

Der Mensch wird heute mit dem Bürgerlichen Gesetzbuches nur als Objekt des Gesetzgebung betrachtet. Da ist keine Rechtsprechung mehr möglich. Da wirkt nur noch der Zwangscharakter des Rechts. Für eine kleine Clique von Reichen und Superreichen scheuen die Politiker sich, obwohl jeder Mensch es erkennen kann, endlich die Gesetze auf den Weg zu bringen, die geeignet wären, die Verbrechen zu tilgen, mit denen diese kleine Clique es seit Jahrhunderten mit Hilfe der Gesetze es geschafft hat, ungeheure Vermögen aufzutürmen und gerade in Krisenzeiten erst recht zu türmen. Nach wie vor gilt das Gesetz "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen." Diesen Satz aus der Genesis hat Luther in sein Gegenteil verkehrt und zu den Kaufleuten und Fürsten getragen. Luther las bei Paulus und war schwach. Er verstand nichts. Er bemühte sich auch nicht um Erkenntnisse, gehorchte besser seinem Vater, jedenfalls wird nichts Gutes über ihn aus seiner Jugend über in berichtet bevor er ins Kloster flüchtete. Er erkannte nicht auch dort nicht, dass Gott den Menschen als sein Abbild geschaffen hat, der durch ihn Erkenntnisfähigkeit besitzt und das Gut und das Böse unterscheiden kann, nachdem er vom Baum der Erkenntnis gegessen hat. Und die Richterinnen und Richter, trotz der Aufklärung, folgen willentlich diesem Knecht Paulus, Knecht Jesus Christus, der aus Gott eine Trinität schuf und damit die Verbrechen gegen die Menschlichkeit besorgte. Um den Raubzug von Wenigen in der Geschichte einmal zu tilgen, könnte die Einführung der Zweiten Kammer in ein neuartiges Regierungssystem taugen. Sie würde die Judikative befreien und in eine Zivilgesellschaft mit konsequent praktischer Teilung der drei Gewalten führen. Der Weg würde frei, vielleicht doch noch den weiteren Klimawandel einmal wenigstens zu stoppen. Dann erst kann gelten: "Seht, der Mensch ist geworden wie wir" (Genesis 3,22).