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editiert am 16.03.2021

Der Staat des Kapitals

Eine Geschichte über den Staat anstelle eines Vorworts

Eine Theke, eine Flasche Wein, das Geld und die Erkenntnis, dass die Lüge sachlich daherkommt.

Er reichte mir die Flasche und ich gab ihm dafür das Geld. Das war immer so. Er gab mir den Wein und ich gab ihm das Geld.
Wir hatten uns an die Welt des quid pro quo gewöhnt. Früher sahen wir uns täglich und oft verbrachte ich den Tag in den Weinbergen mit ihm. Als ich fortging war der Abschied schwer, aber ich kam zurück. Beide sahen wir, dass in all den Jahren, in denen ich weg war, sich vieles im Dorf verändert hat. Fast alle Hinterhöfe waren verschwunden und vor allen Häusern standen jetzt Autos. Außer den Weinbauern gab es keine Bauern mehr und auch die Weiden waren samt den Kühen verschwunden. Ein kleines Industriegebiet haben sie statt den Weiden erst vor wenigen Jahren erschlossen und er erzählte mir, dass seine Frau dort die Möglichkeit bekam, ein kleines Nebeneinkommen zu beziehen. Die Nebenkosten und Gebühren können mit dem Wein schon lange nicht mehr allein abgedeckt werden. An diesem Tag nahm er zum ersten Mal das Geld, das ich ihm reichte, als er mir wie früher den Wein mitgab, bevor ich wieder in meine Berghütte hinaufging, wie früher, als der Berghof noch bewirtschaftet wurde.

Das war auch selbstverständlich. Ich liebte den Wein und er brauchte wohl das Geld. Er lebt unten im Dorf, lebte dort zusammen mit seiner Frau und den Kindern. Obwohl wie ich im Rentenalter angekommen, arbeitete er noch in seinen Weinbergen. Ich arbeite nicht mehr in den Weinbergen, schon ein Leben lang nicht mehr. Er muss das tägliche Brot wie auch ich täglich im Supermarkt kaufen, den es früher hier auch nicht gab. Früher besorgten wir die notwendigen Lebensmitteln bei den Bauern und ließen anschreiben. Die Eltern glichen das alles wohl irgendwann miteinander aus, ein System, mit dem ich mich nie beschäftigte. Gestern sprachen wir hier oben auf unserer Bank noch darüber, dass wir beide noch immer wie früher Robinsonaden verachteten, die hübsch zu lesen wären, aber doch richtig verlogen ersonnen sind. Seinen Kindern habe er sie deshalb auch nicht vorgelesen. Wir unterhielten uns oft über Kindheits- und unseren gemeinsamen Jugenderinnerungen und waren froh, dass wir wieder gemeinsam in diesem Dorf leben. Dort leben keine Robinsons. Diesen Unsinn hätten seine Kinder später lesen können, aber auch seine Kinder haben diese später, als sie selber Kinder bekamen ihren Kindern nicht vorgelesen, wie er mir versicherte. Oft sprachen wir an Nachmittagen, wenn er mich kurz zwischen seinen Arbeiten im Weinberg besuchte sogar über die Krisen, in den weltweiten, uns aber doch sehr fremden Gesellschaften. Das Fernsehen zeige jetzt täglich allerhand davon. Ich selber hatte keinen Fernseher oben in meiner Berghütte. Er dachte deshalb wohl auch anders als ich. Einmal stritten wir sogar und nahmen uns vor, nicht mehr über Politisches zu reden. Ich widersprach ihm, als er über Margret Thatcher bemerkte, dass die doch keine Ahnung habe mit ihrer Behauptung, dass es keine Gesellschaften gäbe. Meine Erwiderung, dass er nachdenken solle, weil sie abolut recht hat, schien ihn zu ärgern.
An diesem Tag schien er froh zu sein, dass unsere gemeinsam Zeit auf dieser Bank vorbei ging und er wieder in seine Weinberge konnte. Er sprach nie wieder über Margret Thatcher, kam aber seitden an den Nachmittagen auch nicht mehr zu mir herauf.

An einem Tag, ich werde ihn nicht mehr vergessen, veränderte sich alles. Er war wohl vom Teufel besessen. Den hatte ich noch nie hier in der Gegend gesehen und schon gar nicht vermutet. Bei uns läuteten nicht nur an den Sonntagen die Glocken. Anmutend hörten wir die Wandlungsglocken, diesen dumpfen, kaum hörbaren Dreiklang und wir bekreuzigten uns wie früher. So sind wir aufgewachsen und haben es unseren Eltern nachgemacht. Als Kinder wussten wir nicht, warum wir uns bekreuzigten. Aber wir erkannten immer die fremden Kinder und Jugendlichen daran, dass sie sich nicht bekreuzigten. Aber heute, im Alter angekommen, vernahm ich diesen Dreiklang anders: Nach jedem dumpfen Glockenschlag klang ein hochfrequentes Wimmern nach, das ich früher nie vernommen hatte. Ich höre seitdem immer dieses Wimmern der Glocken von Chatyn, wenn irgendwo Kirchturmglocken läuten. Er hörte nichts, als ich ihn einmal auf dieser Bank hier oben danach fragte. Wir fürchteten hier in den Weinbergen keinen Teufel und Gott schon gar nicht. Wir freuten uns täglich, dass er da ist und erst recht, wenn er in besonderem Maße nicht nur den Raum, sondern selbst die Weinberge mit der Sonne durchflutete. Wir alle in dieser Gegend wussten dann, dass der Wein gut werden wird.

Als ich an jenem Tag, den ich -ich wiederhole mich - nicht mehr vergessen werde, nachlief, weil ich mit der Flasche bereits draußen war und er das Geld verlangte, veränderte sich die Welt. Ich sagte ihm noch, dass ich es ihm schon gegeben hätte und zeigte ihm sogar meine rechte leere Hosentasche. Er solle sich erinnern: Immer habe ich das Geld in der rechten Hosentasche. Die linke Tasche benutze ich für das Taschenmesser. Erst vor wenigen Monaten, als ich hier nach all den Jahren einmal wieder zu Besuch war und den Wein holte, bat ich ihn, das Geld aus dieser rechten Hosentasche zu holen, weil ich mich an seiner Theke die rechte Hand verletzt hatte. Dort hätte er doch das Geld gefunden, das immer abgezählt war. Wir vertrauen uns doch.
Vertrauen war gestern, heute herrsche der Staat. Er verlangt jetzt von mir diese Kasse und von dir den Bon. "Wo hast Du den Bon?" Die Zeiten hätten sich geändert, sagte er jetzt an jenem Tag, den ich seither nicht mehr vergessen werde.

Wegen Ladendiebstahls verurteilten sie mich. Alle haben vor dem Richter ausgesagt, dass ich diese Flasche draußen vor seinem Laden in der Hand gehabt habe und er sagte, er wisse es nicht, ob diese bezahlt worden wäre. Gebucht wäre sie nicht geworden. Dasquit pro quo sei verletzt worden und diese Verletzung ist unter Strafe gestellt. So klärten mich die Richter auf. Ich musste die Strafe bezahlen und auch mein Widerspruch wurde abgelehnt und die Gerichts- und Anwaltsgebühren fielen jetzt deutlich höher aus: Dir werden wir es zeigen.

Sie zeigten es ihr.

Immer beachtete ich seitdem seine Kasse mit dem Bondrucker. Wir sprachen nicht mehr miteinander. Natürlich wollte ich weiterhin den Wein, den ich mit ihm, der nicht er ist, täglich trinke und der mich an sein Blut erinnert, das er nicht für uns vergossen hat. Das er allein für die Wahrheit vergossen hat und der nicht wusste, dass er nicht der Heiland war, den sie in Südttirol und nicht nur dort noch heute besingen: "Morgen wird der Heiland kommen, der liebt und lohnt die Frommen". Ich liebe ihn noch immer, weil er das glaubte. Mich hat er nicht belohnt und das konnte er auch gar nicht. Aber ihm folgend widerstand ich der Versuchung des Teufels. Ich gehe sogar wieder zu ihm und zeige ihm nun täglich, dass er auch über mich keine Macht hat. Ich gebe ihm das Geld, das ihm zusteht, daran hat sich nichts geändert. Wie früher nehme ich das Geld aus meiner rechten Tasche und gebe es ihm wie immer abgezählt. Das Taschenmesser in meiner linken Tasche habe ich abgelegt. Diese Tasche ist seit dem Urteil leer. Er öffnet die Kasse, gibt mir den Wein zusammen mit dem Bon. Immer lasse ich ihn danach fallen und er bückt sich und hebt ihn auf. Nur etwas hat sich verändert: Ich würdige ihn seither keines Blickes und schon gar nicht mehr eines Wortes. Nur einmal, als ich mal wieder wortlos die Theke verließ, war etwas merkwürdig anders: Ich sah ihn an der Ecke stehen und sah, wie er mich angrinste.

Da stand er, der Teufel höchstpersönlich. Dort stand er und grinste mich wahrhaft an. Als ich längst wieder draußen war drehte ich mich noch einmal um und sah durch das Fenster, dass er sich zu ihm bewegte und ihm seine Hand reichte. Er nahm sie an.

Seitdem kam er nie wieder aus seinen Weinbergen zu mir hoch, zur Bank ganz oben am Waldrand. Meist an den Sonntagen kam er früher, als noch das Vertrauen zwischen uns herrschte und setzte sich neben mich. Oft saßen wir da lange und wortlos zusammen. Wir genossen gemeinsam den Blick über die Weinberge und hörten die Glocken, die zum Kirchgang aufriefen und wenn die zwei Schlagfolgen mit jeweils drei kurz aufeinander folgenden Schlägenläuteten und noch hörbar vom Tal herauftönten, bekreuzigten wir uns. Zu seinem Gedenken.

Im Dorf wird erzählt, dass er ihnen sagte, dass ein Spinner unter ihnen lebt, der Dummes daherredet.

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Johannes Agnoli: Der Staat des Kapitals
„Zivilgesellschaft" oder bürgerliche Gesellschaft?


(nachfolgender Aufsatz von Johannes Agnoli, den er für italienische LeserInnen geschrieben hat, wird aktuell noch überarbeitet. Hier ist vorab der erste Teil der Rohfassung wiedergegeben. Für den normalen Leser ist der Aufsatz schwer und nur mit ausreichenden zeitlichen Ressourcen zu lesen. Er wird deshalb in den nächsten Tagen überarbeitet und in einer deutlich verkürzten Version hier zusammengefasst (das Original bleibt natürlich erhalten). Bitte beachten: Dieser Aufsatz wurde aus dem Internet kopiert; er weist Kopierfehler auf wie auch meine Texte oft noch Schreibfehler aufweisen. Es geht eben um die Sache und nicht um das Recht, das hier korrekterweise mit Rechtschreibfehler geschrieben werden sollte. Sie kommen zuletzt und werden noch korrigiert.

Für die italienische Übersetzung eines deutschen Aufsatzes (dessen Thema allerdings von mir vor einiger Zeit in einem Seminar an der Turiner Universität behandelt wurde) sollen einige nähere Bestimmungen vorausgeschickt werden. In der Einleitung zum Aufsatz wird der Leser eine freundlich polemische Art wahrnehmen können, mit der ich mich mit der Staatsdiskussion in der deutschen marxistischen Wissenschaft auseinandersetze. Meine kritischen Bemerkungen gelten verständlicherweise nicht allen methodischen oder thematischen Richtungen; sie meinen jedenfalls nicht die Versuche, in die marxistische Analyse neue Gesichtspunkte einzubringen - so etwa bei engagierten Forschern wie Preuß, Offe oder Hirsch, um drei auch in Italien zu recht bekannte Namen zu nennen. Es handelt sich vielmehr um beinahe beiläufige Hinweise auf die strikt traditionalistische Argumentation, die wir sowohl bei den sogenannten Revisionisten (den Theoretikern des „staatsmonopolistischen Kapitalismus” - Stamokap) antreffen, wie auch in einem Anti-Revisionismus, der selbst am traditionellen Prinzip vom Primat der Ökonomie und von der, dialektisch genannten Trennung zwischen Ökonomie und Politik festhält. Beide bemühen sich in der Methodenfrage redlich darum, den einheitlich-ganzheitlichen Charakter des Systems von möglichen Abweichungen freizuhalten. Man könnte geradezu von einer Angst vor der He-terodoxie, gar vor der Häresie sprechen. Um beiden zu entgehen, klammert man sich an zwei obligate Forderungen der Orthodoxie. Die erste Forderung besteht in der in Deutschland bekannten „korrekten Staatsableitung”. Danach findet alles, was sich in der Politik ereignet oder politisch wirksam wird, seine letzten Gründe ausschließlich in der ökonomisch gefassten Kapitalbewegung. In einer solchen Ableitung verliert die Klassenbewegung der abhängig Arbeitenden ihre eigene Dynamik als potentiell autonome Kraft, als Logik der Negation.

Die zweite Forderung geht auf die Einhaltung der „Marx-Treue” zurück. Sie verwandelt sich in einen intellektuellen Zwang scholastischer Prägung. Keine These, keine Hypothese gilt als gesichert, wenn sie nicht auf irgendeine Weise bestätigt, sozusagen autorisiert wird durch irgendeinen Verweis auf die bekannten klassischen Texte. Selbst bei der theoretischen Diskussion arbeitet die wechselseitige Kritik nicht so sehr auf der Ebene einer Gegenüberstellung von Analyse und realem Prozess als vorwiegend auf der Ebene der Übereinstimmung von Analyse und „Klassiker”-Schriften, allen voraus dem „Kapital”. Das gilt auch für das anscheinend immer aktuelle Thema der „Autonomie des Politischen”. Und dies trifft vor allem für jene marxistische Richtung zu, die die Frage des Staatseingriffs in die Kapitalverwertung in den Mittelpunkt des Problems gerückt hat: eben für die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Sehen wir einmal von dem Grundmangel der Stamokaptheorie ab, nichts Weiteres als die ideologische Rechtfertigung einer vorweg entschiedenen, durch Bündnisopportunität bestimmten Strategie dazustellen: es bleibt theoretisch ein Rest begrifflicher Verwirrung - die Folge der politischen Verunsicherung. Die Steuer- und Sozialpolitik sowie die staatliche Ankurbelung von Produktion und Beschäftigung, also die funktionale Beteiligung an der Ökonomie (die normale Wirtschaftspolitik aller bürgerlichen Staaten), die sich ebenso funktional gegen Sonderinteressen wendet und andere Sonderinteressen punktuell begünstigen kann, wird verwechselt mit der politischen Autonomie der Intervention. Die letztere wäre aber gleichbedeutend mit der durchgängigen Freiheit der Entscheidung, die ein Staat träfe unabhängig von den Erfordernissen der Akkumulation und von den Forderungen und den Klasseninteressen der Bourgeoisie. Durch diese Verwechselung verliert der Begriff der Staatsintervention seinen Sinn. Denn die wirkliche Autonomie besteht nicht in der Gestaltung von Räumen, die kapitalfrei oder für das Kapital unwichtig sind oder durch Uneinigkeit der Einzelkapitale verfügbar werden für einen vom Staat besorgten Ausgleich. Sie besteht vielmehr nur bei einer von Grund auf verwirklichten Unabhängigkeit der Politik vom allgemeinen Kapitalverhältnis. Und das will heißen: das Politische ist wirklich autonom nur als Revolution, als Praxis, die die Logik der kapitalistischen Entwicklung durchkreuzt und alle Subsumption unter die Verwertung aufhebt.

Die bei der traditionellen Linken Italiens in Gang gekommene Diskussion über die Autonomie des Politischen kehrt ganze Argumente um und streift den Zusammenhang von Produktionsweise, Gesellschaft und Staat gänzlich ab. Kennzeichnend dafür ist das Fehlen einer Analyse, die die enge Beziehung zwischen dem Staat als Zwangssystem und dem Zwangscharakter der Tausch- und keine Gebrauchswerte produzierenden Arbeit thematisiert. In einer solchen Beziehung sehe ich einen der wesentlichen Gründe für die Bildung des „politischen Staats”. Stattdessen redet man von der persönlichen Autonomie von Politikern, politischen Gruppen und Kräften in einer (soziologisch verstandenen) Wechselwirkung mit anderen Personen oder anderen Kräften. In diesem Sinn redet man auch von der Autonomie der Arbeiterpartei gegenüber der Arbeiterklasse (Tronti), gewissermaßen nach dem Muster sozialdemokratischer Kanzler in der BRD: „Ich bin der Kanzler des ganzen Volkes” (Willy Brandt). Das Ganze löst sich in der Entscheidungsautonomie des politischen Personals gegenüber dem ökonomischen oder sonstigen nichtstaatlichen Führungspersonal auf. Auf diese Weise wird die Gesellschaft in abgedichtete Abteilungen zerstückelt, von denen der Staat sich absondern kann. Damit soll er vorgeblich den komplexen Strukturen der „Industriegesellschaft” angemessen und vor allem frei verfügbar für beliebige politische Perspektiven sein. Mit den vorgelegten, knappen Überlegungen nehme ich mir vor, das Problem auf ein wirklichkeitsnäheres, sicherlich auch elementareres Niveau zu bringen. Es sind vor allem drei miteinander verflochtene Aspekte zu klären. Der erste bezieht sich auf die materielle, nicht bloß formelle Möglichkeit des autonomen Handelns des bürgerlichen Staats - die Autonomie im traditionellen Sinn; sodann geht es um die ebenso materielle Grenze dieser Autonomie; schließlich sollen die Ursachen erörtert werden, die die Notwendigkeit der Form Staat begründen und zugleich seine inneren Veränderungen bedingen. Es wird zu sehen sein, inwiefern sich daraus eine Neubestimmung des historischen Auftrags bürgerlicher Staaten ergibt: nicht so sehr die Übersetzung der Klassenherrschaft in politische Machtausübung, auch nicht die Sicherung der Extraprofite des Monopolkapitals (um zwei bekannte Punkte aufzugreifen); vielmehr die strategisch-organisatorische Funktion, die Aufgabe, eine garantierte und umfassende Reproduktion zu institutionalisieren und langfristig zu „verstaaten”. Es versteht sich: die Verstaatung selbst nicht als Ergebnis eines politischen oder sonstigen Machtspruchs; eher als unausweichliche Folge eines funktionsfähigen Kapitalismus. In diesem Punkt haben wir Einiges neu zu überlegen. Ich denke etwa an die enge Verflechtung zwischen dem Staat als Form der allgemeinen Zusammenfassung der Gesellschaft auf der einen Seite, und andererseits den einzelnen Kapitalen oder Kapitalgruppen, die die besonderen realen „Subjekte” der Gesellschaft darstellen; aber auch an das Verhältnis von allgemeiner Zusammenfassung und von der Verknüpfung und Interessenverwicklung zwischen Bourgeoisie und abhängigen Klassen, zwischen Kapital und Arbeit. Es geht also um das weite politische Gebiet der Strukturreformen - bekanntlich um ein undurchsichtiges Knäuel von Missverständnissen. Aus dieser ausgleichenden und synthetisierenden Leistung des Staats entsteht gerade der „Schein der Autonomie”, der Schein einer „höheren” Eigenschaft des Staats, sozialen Konflikten und Kämpfen übergeordnet, der gesellschaftlichen Zwiste überhoben. Aber diese Autonomie hat auch eine reale Dimension, nicht etwa in der Möglichkeit, in die Planung einzelner Kapitale sich einzumischen. Mehr ins Gewicht fällt es, dass der Staat die bürgerliche Klasse zu einer Einheit macht. Denn die bürgerliche Klasseneinheit ereignet sich nicht auf dem Markt und im Zirkulationsprozeß. Sie bildet sich erst in ihrem Staat, der als Form die durch Partikularinteressen und die Marktkonkurrenz zerrissene Bourgeoisie wieder zusammenfügt. Die Form Staat besorgt also eine doppelte Vereinheitlichung: Synthese der bürgerlichen Gesellschaft zum einen und damit auch Integration oder Repression ihres negativen Elements; zum anderen Zusammenfassung der bürgerlichen Klasse und somit Bildung, auch auf der Ebene der Macht, der Allgemeinheit des Produktionsverhältnisses als ökonomischer, sozialer, politischer Totalität. (In einem zweiten Teil der italienischen Vorbemerkung gehe ich ausführlich auf eine, in Italien strittige Frage ein, die aber polit-philologisch auch europäischen Ausmaßes ist: ob bei Marx, zurückgreifend schon bei Hegel (gewiss nicht bei Kant) die „bürgerliche Gesellschaft” - bürgerlich sei oder zivil. Also: societa borghese oder societa civile? societé bourgeoise oder societé ci-vile? Am Anfang steht die englische politische Philosophie und ihre civil society. Ich brauche hier die langen, gelehrten Ausführungen zum Thema und zur Problematik der Übersetzerkunst nicht zu wiederholen. Nebenbei - um die Sache klarer zu bestimmen - stelle ich auch die italienische Übersetzung des „dunklen” Worts von Marx: „Berechtigung des Zufalls” (Grundrisse) richtig. (Berechtigung wird mit giustificazione wiedergegeben, giustifica-zione aber heißt Rechtfertigung). „Bürgerliche Gesellschaft” also: nur ein Spiel um Wörter und mit Wörtern? Am Ende vielleicht ein unsauberes. Hinter der Philologie versteckt sich ein Interesse, das etwas mehr ist als bloßes Erkenntnisinteresse und eine beachtliche ideologische Umdeutung meint. Wenn die Gesellschaft, in der wir leben, nicht borghese oder bourgeoise, sonderne civile ist und alle Vorzüge der vorstaatlich-überstaatlichen civil society kennt, so wird sie terminologisch als ein unantastbares „Wertesystem” ausgegeben. Im italienischen politischen Alltagsgebrauch des Worts wird dies deutlich: dem korrupten reformbedürftigen Staat und seiner seichten politischen Klasse steht die societá civile in ihrer ganzen moralischen, produktiven, kulturellen Qualität entgegen. (So bemühen sich politische Parteien, an Stelle der eigenen Vertreter „Persönlichkeiten aus der societá civile” ins Wahlrennen zu schicken. Mit einem Wort: die kapitalistische Eigenschaft der Gesellschaft wird abgestreift, die sozioökonomische Bedingtheit der Politik vergessen und das bourgeoise Verhalten als alleingültige Norm gesetzt. Die Fehlübersetzung hätte übrigens in einer Rückübersetzung unfreiwillig humoristische Folgen: die „Verbürgerlichung der Arbeiter” würde zu ihrer „Zivilisierung”; die bürgerliche Wissenschaft marxistischen Sprachgebrauchs wiese nicht auf ihre Standortgebundenheit hin (wie erinnerlich, Karl, aber Mannheim und nicht Marx), sondern auf eine besonders zivilisierte Denk- und Forschungsmethode, von der gut bürgerlichen Küche will ich lieber nicht reden. Deutschland hat es hier ausnahmsweise besser und kennt eine sachlich korrekte, wenn auch sprachlich gekünstelte, immerhin erfreuliche Lösung: man trennt die bürgerliche Gesellschaft säuberlich von der Zivilgesellschaft ab. Das Spiel mit Wörtern mag bleiben, bleibt aber sauber. Übrigens dürfte seit 1983 die Sache selbst schon bei Hegel nicht mehr strittig sein. „In ihr” - der bürgerlichen Gesellschaft - „ist der Bürger „Bourgeois”, nicht „Citoyen”, meinte also Hegel, Naturrecht und Staatswissenschaft -Vorlesung in Heidelberg Winterhalbjahr 1817/18, §89. In der von Karl-Heinz Ilting besorgten Erstausgabe, (Klett) Stuttgart 1983 auf Seite 108. Strittig bleibt nur, warum Hegel in der Berliner Vorlesung über das gleiche Thema diese Bestimmung nicht anbringt. Das ist aber, wie ein Dichter zu sagen pflegte, eine ganz andere Frage.)

Vorbemerkung
Die Diskussion über die konkrete Eingriffsfähigkeit des Staats bei der Regulierung der Kapitalverwertung, vor allem bei der möglichen Vermeidung wirtschaftlicher Krisen, hat zu einer eigentümlichen Verschiebung und schließlich auch zur Verschleierung der spezifisch politischen Problematik geführt - und zugleich zu einem politischen Realitätsverlust. Dafür ist fraglos die einseitige Perspektive verantwortlich zu machen, die, sei es in der Form der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus („Revisionismus”), sei es in der Form der Kritik, die an dieser Theorie geübt wird („Antirevisionismus”), Wirklichkeit und Wirksamkeit des Staats an seiner unmittelbar ökonomischen Existenz festmachen will. Auf der einen Seite wird der Staat als bestimmende reale Macht betrachtet, da er sich als „ökonomische Potenz” betätigen und in den Verwertungsprozess des Kapitals direkt einmischen kann; oder auf der anderen Seite wird der Staat als bloße Ideologie, „Überbau” im bornierten Sinn gesehen, da er anscheinend diese spezifisch ökonomische Fähigkeit nicht haben kann. Dieser Realitätsverlust soll hier - emblematisch und insofern scharf betont - für die Schwäche der theoretischen Seite der Linken in der Bundesrepublik Deutschland und für die dadurch bedingte Erfolglosigkeit des praktischen Kampfs um die radikale Veränderung der Gesellschaft (zu deutsch: Revolution) an den zwei entgegengesetzen Vorstellungen des Verhältnisses von Kapital und Staat kurz dargestellt werden. In der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus tritt der Staat förmlich auf die geschichtliche Bühne als ein ungeheurer Machtblock, der kapitalistische Herrschaft nicht bloß vermittelt oder ermöglicht, sondern als „selbständige ökonomische Potenz” sich mit der Kapitalpotenz verschmilzt. Irreal ist diese Vorstellung an sich nicht. Sowohl die Verschmelzung von Staatsapparat und ökonomischen Führungsgruppen (Großkapital) wie die ständig wachsende Gegenwart des Staats in ökonomischen und sozialen Prozessen ist eine schlichte Tatsache. Nur wird dieser tatsächliche Sachverhalt nicht als Folgeerscheinung der Entwicklungsphasen der Kapitalakkumulation und den diesen Phasen entsprechenden, in der Wirklichkeit stattfindenden Klassenbewegungen gefasst. Vielmehr wird er als Ausdruck einer politischen Machtkonstellation interpretiert, in der nicht ökonomisch-gesellschaftliche Kräfte agieren, sondern politische Subjekte mit ökonomischen Interessen: die Monopole und der Staatsapparat. Die politische Strategie entwickelt sich nach diesen, soziologisch bestimmten Machtstrukturen und schlägt die entsprechenden beachtlichen Purzelbäume. Die ungeheure Mächtigkeit des Staats der Monopole erscheint als günstigste Bedingung, den Staat zum Instrument einer antimonopolistischen Demokratie und des Übergangs zum Sozialismus zu machen. Durchaus stringent argumentiert: Da Staat und Monopol wesentlich Machtgebilde sind, muss (und darf) um die Macht, um den Zutritt zum Schaltbüro der Machthebel gekämpft werden, damit der Übergang vollzogen werden kann. Je stärker die Machtkonzentration ist, um so sicherer ist es, dass die der Arbeiterbewegung zufallende Macht stark ist. Dazu muss der Bevölkerung fest zugeredet werden, damit sie die Notwendigkeit des Machtantritts der „Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten” einsieht: ein großzügig als Dialektik ausgegebenes Mysterium. Auf der anderen Seite wird der Staat zur Hilfslosigkeit verurteilt. Seine ganze Politik scheitert an den zwingenden Erfordernissen der Kapitalverwertung und stellt sich als Ausdruck der Machtlosigkeit heraus. Parlamente, Regierungen, Parteien sehen nur noch zu, wie die Gesellschaft sich entwickelt und können höchstens als Polizei und Armee ein kümmerliches Leben führen. Irreal ist diese Vorstellung ebenso wenig wie die andere. Nur: das Kapital erlangt hier umfassende Kräfte. Es bewegt sich und bastelt aus der Naturwüchsigkeit der „stofflichen Zirkulation, der Marktbewegung, der Ausgleichung von Profitraten, über Produktionsebene und Kostenpreise” und immer wieder auf dem Hintergrund der fallenden Profitrate und unter dem Druck des sich durchsetzenden Wertgesetzes die Totalität der Gesellschaft zusammen: ein als politische Ökonomie ausgegebenes Mysterium. Daraus wird der Schluss gezogen, dass der „Staat”, und das ist konkret der ganze Zusammenhang politischer Kräfte, Bewegungen, Machtmechanismen, Kommunikationsnetze und auch „Staatsorgane”, ohnehin nur für Rahmenbe- dingungen zuständig, erstens wenig zu sagen hat und nur eine illusionäre Machtexistenz führt; zweitens ohnehin in Permanenz nur als Ableitung seiner Funktionen existiert. Die Folge ist eine uneingestandene Absage an den politischen Kampf und an jede Konfliktstrategie. Führt das eine Mysterium zum Zureden, so dieses zum Zusehen, wie das Ganze sich entfaltet. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass revisionistisches Zureden und antirevisionistisches Zusehen eines Tages als willige Träger politischer und wissenschaftlicher Macht zusammenfinden werden.1

Die „Autonomie der Politik”
Es bereitet keine Schwierigkeiten, dem Staat als Überbausphäre eine gewisse Eigenständigkeit zuzugestehen. Diese Sphäre wird geschichtlich in den Reproduktionsprozess kapitalistischer Gesellschaften durchaus eingegliedert, meist unter dem besonderen Aspekt einer Wechselwirkung, die nach angeblich dialektischer Auffassung zwischen Überbau und Basis stattfinden soll. Das eigentliche Realitätsproblem aber wird immer betrachtet in der genauen Sicht der möglichen Zuordnung des Staats zur materiellen Basis der gesellschaftlichen Reproduktion. Entscheidend ist also die Frage, inwiefern der Staat selbständig ökonomisch tätig werden kann und nicht nur eine bloß ideologisch bestimmte, allgemeine Funktion in der Reproduktion des Kapitals zu erfüllen hat. Die immer wieder in den Vordergrund gerückte, zwar mit konkreter geschichtlicher Realität ausgestattete, aber dennoch überbaumystisch gefasste Aufgabe des Staats, die Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten, hat immer noch einen ideologischen Charakter. Die Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft wird nicht gesehen als Form organisatorischen Eingriffs für die Verwertung des Kapitals selbst und in die Reproduktion des Kapitals, sondern immer nur als rechtliche Regelung, die „neben und außer” der wahren, weil ökonomischen Existenz der Gesellschaft deren Entwicklung begleitet.2 So gesehen, und bei aller Anerkennung staatlicher Aufgaben, bleibt der Staat immer noch ein beiläufiges, wenn auch notwendiges Ergebnis der Kapitalbewegung: eine Realität zweiten Grades, eine Realität, von der man zuweilen den Eindruck hat, als ob die Reproduktion einer kapitalistischen Gesellschaft ohne sie eigentlich auskommen könnte. dass es den Staat doch gibt, wird ökonomistisch erklärt durch das allerdings stichhaltige Argument, dass das Kapital ein unmittelbares Interesse habe, die Erfüllung gewisser, nicht profitabler Aufgaben einer solchen „außerhalb der Gesellschaft” bestehenden Organisation zu übertragen. Dabei gerät der doppelte, in sich durchaus widersprüchliche Charakter des Staats vollkommen in Vergessenheit, der unter anderem auch zu der bürgerlichen Mystifikation von der „Autonomie der Politik” geführt hat. In bürgerlicher Sicht stellt sich der Staat als eine allgemeine Instanz dar, die mit der unmittelbaren Bewegung des Kapitals und den damit verbundenen Klassenauseinandersetzungen wenig zu tun hat und die sich gewissermaßen selbständig entfaltet, als Norm, als Idee, als Staatsverfassung und „Verfassungswirklichkeit”. Diese Autonomie nimmt vielfältige Formen an. Sie bedeutet, dass die Existenz des Staats nach eigener Gesetzmäßigkeit verläuft, dass sie also weder unmittelbar noch vermittelt mit der ökonomischen Entwicklung gekoppelt ist. Sie bedeutet ferner, dass die „Politik”, verstanden als Machtzentrum oder als Machtzentren, in der Lage ist, nicht nur in die ökonomische Entwicklung einzugreifen, sondern die Entwicklung der Ökonomie nach eigenen Plänen, nach eigenen Zielsetzungen und auch gegen die unmittelbaren Kapitalinteressen zu lenken. Die Autonomisierung der Politik spitzt sich dann zu auf Machtkämpfe politischer Führungsgruppen (Cliquen oder Parteien), die - und das ist für den bürgerlichen Staat entscheidend - ihre Auseinandersetzungen nach rechtlich fixierten, wenn auch sich ständig verändernden Spielregeln austragen. In dieser Perspektive werden gesellschaftliche Veränderungen im wesentlichen als Ergebnis des Kampfs um die Macht und um die bewusste Gestaltung politischer Zustände betrachtet. Dabei wird das wirkliche Verhältnis genau umgekehrt: Die Ökonomie als Basis gesellschaftlicher Reproduktion gerät in den Bereich des bloßen se- kundären Mittels zur Durchsetzung politischer Programme. Derart verkündet die bürgerliche Wissenschaft, als Ausdruck einer sozialen Bewegung, die die materielle Produktion und die daraus sich ergebenden Gewinne zum Fundament des gan- zen Lebens gemacht hat, den absoluten Vorrang des Ideals und verdunkelt so jene Zustände, welche aufzuklären sie vorgibt. Aber auch auf der anderen Klassenseite muss man sich vor Verdunkelung hüten. Man muss vorsichtiger und wirklichkeits- näher mit der Wahrheit umgehen, dass der Staat eine bloße Überbauerscheinung sei: die Seite einer lediglich formalen Be- stimmtheit, deren ganze Wirklichkeit von der Kapitalbewegung abhänge. Gewiss ließe sich manches Missverständnis vermeiden, würde man den durchaus tauglichen Begriff der Überbauerscheinung genau, das ist: dialektisch, fassen. dass das Dialektische hier aber im argen liegt, ist ja bekannt (schon Engels konnte das fest stellen). Aus dem Überbau wird allenthalben der „bloße” Überbau gemacht. Hier muss offensichtlich näher spezifiziert werden. Als Organisation der Gesellschaft, speziell als Organisation der Klassenverhältnisse3 auf der einen Seite, auf der anderen Seite der Rahmenbedingungen von Produktion (vor allem in der Zirkulation), erhält der Staat einen Realitätscharakter, den er als bloße Überbauerscheinung, genauer: als bloße „Verfassungsordnung” noch nie gehabt hat. Das gleiche gilt auch für die Gesetze. dass Gesetze, gesetzliche Regelungen in ihrer Normativität betrachtet, eine bloß ideologische Erscheinung sind, darüber besteht kein Zweifel. Gesetze können aber ihre eigene Formbestimmtheit der Normativität überschreiten. Sie führen nicht nur eine normative Existenz am Rande tatsächlicher Vorgänge, sondern sie greifen gerade als Zwangsgesetze, d. h. als eine materielle Gewalt, in die Wirklichkeit ein und verändern sie. Der Übergang von der absoluten Ausbeutung der Arbeitskraft zum „normalen” Arbeitstag am Anfang der englischen Kapitalakkumulation verdeutlicht diese materielle Seite des „Überbaus”: Die für die Kapitalbewegung wesentliche Umpolung der Mehrwertproduktion vom absoluten zum relativen Mehrwert, also eine ökonomische Wende, wurde kraft Staatsgesetzes herbeigeführt. Es ist, wie Marx sagt, eine unumgängliche Bedingung der Kapitalreproduktion, dass „das Kapital endlich an die Kette der Regulation gelegt” wird (Kapital 1, MEW 23, 258). Von dem bloß normativen Charakter der Gesetze kann hier keine Rede mehr sein. Vielmehr legen sie die bloß ideologische Äußerlichkeit ab und werden zu „übermächtigen gesellschaftlichen Hindernissen” innerhalb der Kapitalbewegung (Marx). Die außerökonomische, politische Gewalt, die im bürgerlichen Staat immer in Form des Gesetzes auftaucht, kann also auch zur ökonomischen Gewalt werden, wenn das Gesetz Ausdruck der staatlichen Durchsetzbarkeit ökonomischer Forderungen ist; oder wenn das Gesetz als staatliche Zwangsmaßnahme bestimmte ökonomische Prozesse der „Regulation” unterwirft. Marxens Hinweis auf die Regulation, und das bedeutet wohl auch eine tendenzielle Regulierbarkeit der Ökonomie, fordert zu einer Präzisierung heraus; umsomehr, als sich darin eine organisatorische Seite äußert, die als staatlich-rechtliche Vermittlung den ökonomischen Prozessen entgegentritt. Der diesen Sachverhalt fassende Begriff des organisierten Kapitalismus ist missverständlich und überdies politisch bedenklich, da für apologetische Zwecke seitens der Bourgeoisie verwendbar. Sie macht daraus die Fähigkeit ihres Staats, wirtschaftliche Krisen zu vermeiden. Noch mehr: In ihrer Sicht werden Krisen, wenn sie schon organisatorisch zu bewältigen sind, zufällige, steuerbare Erscheinungen und die krisenfeste Ökonomie zu einem staatlich geplanten linearen Wachstum. Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Zeit räumte bekanntlich mit dieser Ideologie auf. Es wäre aber gefährlich, würde man den politisch praktischen Folgen solcher Regulierungsversuche keine Bedeutung beimessen. Sind ökonomische Krisen langfristig auch unvermeidbar, weil sie sich der institutionellen, in Regeln fixierten Planung durch die Zyklenbewegung entziehen, so geht mit dem bloßen Regulierungsversuch eine, strategisch wesentliche Verschiebung der politischen Strukturen einher (die so genannte Stärkung des Staats). Das wirkt sich auf einer anderen Ebene konkret aus. In der Sphäre der Zirkulation bleibt der organisierte Kapitalismus ein immer wieder unternommener Versuch (mit Teilerfolg). Geht es hingegen um das sich in der Produktion vollziehende Verhältnis von Arbeit und Kapital, so stellt der staatlich geregelte Kapitalismus keinen Versuch dar, sondern eine, durch die Mehrwertproduktion selbst bedingte Wirklichkeit. Auf dieser Ebene, der Ebene der konkreten Existenz von Produzenten und Produktionsmitteln, auf der sich auch Reproduktions- und Produktionsbereich überschneiden, findet durchaus z.T. bewusste Lenkung gesellschaftlicher Prozesse statt. Und dies vermittelt sich auch weiter in die Ökonomie hinein, da Ökonomie bekanntlich ohne das Tauschverhältnis Lohnarbeit/Kapital ein Unding wäre. Zur bewussten Ausgestaltung gehört schon die vom bürgerlichen Staat erst ermöglichte Durchsetzbarkeit des allgemeinen Gleichheitsverhältnisses auf dem Markt, das sich am Anfang der Kapitalakkumulation naturwüchsig eingestellt hatte. Die staatliche Vermittlung sorgte dafür, dass daraus kein zerstörerischer Wildwuchs wurde. Da sie aber seit jeher nicht von „Kapitalisten” vorgenommen wurde, erscheint sie - ein notwendiges Ergebnis der Kapitalbewegung, als solches den Erfordernissen der Akkumulation strikt folgend - als autonome, nur durch freien Willen und durch ideale Zielorientierung bestimmte Handlung politischer Führungsgruppen: die rein ideologische, mystifizierende Vorstellung des Staats, die die Herrschaft legitimieren soll. Der Doppelcharakter des Staats geht in der Wirklichkeit aus der Koppelung widersprüchlicher sozialer und organisatorischer Aspekte hervor. Hier einige der wichtigsten: Eine der Kapitalbewegung unterworfene Instanz behauptet sich als notwendige Bedingung für die Existenz des Kapitals selbst und kann daher auf die eigene, ursächliche Grundlage zurückwirken; ein politisches System, dessen spezifische historische Aufgabe in der akkumulationsorientierten Regelung gesellschaftlicher Beziehungen liegt, kann sich mit Kräften konfrontiert sehen, die diese Regelung tendenziell ablehnen und aufgrund der konstitutionellen Eigenschaft des Systems selbst Druck (Legitimitätsdruck) ausüben; organisatorische Macht wird an politische Gruppen delegiert, die aus dem gleichen Legitimationsdruck die Delegation als persönliche unabhängige Entscheidungsbefugnis beanspruchen; die gleichen Gruppen endlich verfügen über das geeignete Macht- und Gewaltmonopol, um eigene Pläne durchzusetzen, scheitern dabei aber an den unüberwindlichen Schranken der sie beauftragenden Ökonomie.
Im allgemeinen werden die sozialen Aspekte dargestellt, die in der Tat eine stoffliche Differenzierung zwischen dem Kapital (seinen Verwertungsinteressen) und der Gesamtheit des gesellschaftlichen Systems (dem Interesse der Massen an der Bedürfnisbefriedigung) mitbedingt. Der Staat setzt sowohl auf der einen Seite spezifische Klasseninteressen des Kapitals organisatorisch durch, und gleicht widerstrebende Interessen (der viel zitierten Kapitalfraktionen) aus.4 Auf der anderen Seite berücksichtigt der Staat, da seine besondere Form als eigenständige Existenz das Allgemeine ist, auch allgemeine Interessen und fasst daher gesellschaftliche Widersprüche zusammen. Nicht, dass er einen gegen das Kapital gerichteten sozialen Auftrag dazu hätte - wie dies häufig in der Politikwissenschaft dargestellt wird. Für sie erscheint in konsequenter Fortsetzung des oben erwähnten Denkmusters Politik als etwas Listiges (die List der bürgerlich demokratischen Vernunft), das von vielen Seiten, Gruppen und Klassen zum pluralen Ausgleich beauftragt, doch von allen und nach allen Seiten sich freihält und dadurch das Allgemeinwohl hinter dem Rücken der Partikularinteressen besorgt. Vielmehr schließt gerade die Reproduktion derjenigen Bedingungen, die der Durchsetzung von Kapitalinteressen dienen, notwendigerweise die Berücksichtigung von Klassen ein, die in ihrer gesellschaftlichen Stellung - sei es als Produzent, sei es als breite abhängige Masse - nicht auf der Kapitalseite stehen. Gerade hier setzt sich aber die Wirklichkeit des Doppelcharakters des Staats durch. Wenn auch die Basis einer kapitalistisch produzierenden Gesellschaft allein in dem sich verwertenden Kapital zu finden ist, so reicht dies für die Begründung besonderer politischer Formen nicht aus. Auf dem Hintergrund des ganzen Akkumulations- und Verwertungsprozesses - und diesen teils bedingend - bleiben immer noch notwendige, weil nicht abzuschaffende Bereiche, soziale Gruppen, ökonomisch ins Gewicht fallende Größen, die der Staat in die Erfüllung seiner Aufgabe miteinbeziehen muss, und die sich unmittelbar nirgends als „Kapital” (in der Form der Ausbeutung oder Unterwerfung) darstellen bzw. sich bewegen. Sie stehen vielmehr als bloß konsumierende Größen oder als zukünftige Produktivkraft endgültig oder vorläufig außerhalb der Mehrwertproduktion: Rentner, Randgruppen, Kinder - und vor allem die Reproduktivkraft Frau.5 Nur bleibt es nicht auf diese Gruppierungen beschränkt, für die ebenso Randorgane des Staats zuständig sein könnten: Polizei, Fürsorge und - hier allerdings in einem sehr spezifischen Sinn - die Schule. Das gilt vielmehr und in noch stärkerem Maße für das Leben der Klasse, die Hauptbedingung und zugleich Gegenpol der Kapitalproduktion ist: die im Produktions- und Reproduktionsbereich Arbeitskraft liefernden Frauen und Männer. Gewiss leben die Arbeiter in allen Äußerungen ihrer individuellen und familiären Existenz vom ausbezahlten Lohn. Insofern zahlt - konkret gesprochen - das Kapital deren Reproduktionskosten, und sie fallen der Kapitalbewegung zu und der Kapitalakkumulation zur Last. Dieses Konkrete wird aber bald zur Abstraktion, wenn man den wirklichen Prozess der sich immer weiter entwickelnden, sich immer mehr verändernden Beziehungen zwischen der Gesamtklasse und dem Einzelkapital betrachtet. Man muss vor allem in Rechnung stellen, dass die Gesamtklasse für das Einzelkapital nicht existiert. Um sie kümmert sich das Einzelkapital höchstens karitativ über die Vermittlung privater Fürsorgeverbände und kirchlich gestimmter, bourgeoiser Frauenvereine. Der Staat hingegen muss bei der Durchsetzung einer an der Akkumulation orientierten Politik nicht nur widerstreitende Interessen der verschiedenen Kapitalgruppen, in erster Linie der eigentlichen Führungsgruppen der Wirtschaft (Konzerne) ausgleichen: Das Wesen der parlamentarischen Vermittlung; besteht nicht nur darin, Klassenauseinandersetzungen konstitutionell zu neutralisieren und Arbeiterparteien in den „Pluralismus” einzugliedern. Der Staat muss vielmehr bei seiner Tätigkeit die gesellschaftliche Existenz der Arbeiter organisatorisch fassen und teilweise ökonomisch tragen, will er die grundlegende, objektive Bedingung der Kapitalakkumulation sichern. Am 8. Kapitel des ersten Buchs des Kapitals geht die Wirklichkeit nicht vorbei - auch wenn Marx' Repetitoren die Dialektik des „normalen Arbeitstags” lediglich als Ornamentik verwenden. Die „Wirksamkeit” des Staats bei der Kapitalreproduktion beschränkt sich nicht auf den bloßen Klassendienst, Leib (aller) und Eigentum (der Bourgeoisie) zu schützen.6 Ebenso sehr muss der Staat die wirklichen Bedingungen einer Reproduktion der Arbeitskraft „neben und außerhalb” der unmittelbaren Verwertung besorgen. Dieser Sachverhalt muss kurz näher erläutert werden, da er - wie oben erwähnt - den konkreten Grund für die staatliche Eingriffsfähigkeit und -notwendig-keit in die Grundstruktur des Verwertungsprozesses bildet. Zunächst aber eine Präzisierung: Es geht hier nicht um eine Korrektur der an sich richtigen Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion, die in einer kapitalistisch produzierenden Gesellschaft stets erweiterte Reproduktion von Kapital ist. Es steht fest (und wird selbst von der bürgerlichen Wissenschaft verklausuliert zugestanden), dass der Träger (das Subjekt) des gesellschaftlichen Weiterlebens bei uns das „Kapital” ist: kein bloßes Investitionsmittel, sondern ein umfassendes Verhältnis. Es schließt Lohnarbeit und Produktionsmittel sowie das diese beiden verbindende Verhältnis, damit aber das Wesen unserer Gesellschaft ein. Damit fasst die „Lohnarbeit” kategorial die ganze Existenz der Arbeiter, einschließlich Familie usw. abstrakt zusammen. Darüber besteht kein Zweifel. In Wirklichkeit aber fällt das „Kapital” in Einzelkapitale auseinander, die als solche allgemeine Reproduktionsbedingungen weder herstellen noch tragen können. Das Gesamtkapital, aus dessen Fond die gesellschaftlichen Kosten (dies reicht konkret von den Sozialisations-kosten bis zur Finanzierung periodischer Wahlkämpfe - dieser Rückbezug auf konkrete Vorgänge muss immer gegenwärtig bleiben) bestritten werden, ist zunächst nur eine Vermittlungskategorie. Sie stellt sich über den teils naturwüchsigen, teils angestrebten Zusammenhang der Zirkulation (Konkurrenz, Planungsversuche, National- und Weltmarkt) her und kann also nicht bewusst selbst tätig werden (es sei denn, es käme der zwar vorstellbare, aber in der Tat illusorische Weltmonopolist zustande). Daraus ergibt sich ein Zweites, das mit der bloßen Vermittlungseigenschaft des Gesamtkapitals zusammenhängt. Auf der Seite der Arbeiter treten Existenzbedingungen auf, die sich der totalen Subsumtion unter die Verwertung der Einzelkapitale entziehen. Anders gesagt: So total findet die Kapitalreproduktion in der Wirklichkeit nicht statt, dass sie ohne eine „außerökonomische” Gewaltinstanz auskäme. Sie sorgt nicht nur für Ruhe und Ordnung, sondern ebenso sehr -und das ist wesentlicher - für das Arbeiterleben und -weiterleben. Das ist eine Trivialität, die dennoch zutrifft - und häufig vergessen wird. Drittens endlich trennt sich das Tauschverhältnis nirgends (trotz Integrations- und Bestechungsversuchen des Kapitals) von seiner Negation, von der einzig wirklichen Auflösung der kapitalistischen Produktionsweise, also vom Klassenkampf. Resultiert auch der Klassenkampf aus dem Produktionsprozeß (und wird insofern instrumentalisierbar), so sprengt er ihn zu gleich - tendenziell 22 und in Permanenz. Das Tauschverhältnis als Grundlage der Reproduktion und als sich fortsetzende Be stätigung der Unterdrückung der Arbeit und deren Unterwer fung unter das allmächtige Kapital, hält in Wirklichkeit die von ihm selbst hervorgerufene Spannung nicht ewig durch. Und dennoch muss das Kapital alles unternehmen, um genau diese Spannung durchzuhalten. Erst aus diesem Widerspruch erklärt sich die Notwendigkeit des Staats, der politischen Zusammenfassung bürgerlicher Gesellschaften. Diese müssen an eine sog. „außer”gesellschaftliche Instanz allgemeine Reproduktionsaufgaben übertragen, die in vorkapitalistischen Gesellschaften ohne diese allgemeine Vermittlung von den Ständen und den Zünften organisatorisch wie finanziell getragen wurden. Dem gegenüber drängt die im Kapitalismus unumgängliche Vermittlung aber - wie gesagt - zur bewußten Lenkung. Erst aus diesem Widerspruch und aus der in ihm angelegten Entwicklung bestimmen sich politische Organisationsformen und deren Transformation. Darauf wird noch einzugehen sein. Hier ist zunächst einer der möglichen inhaltlichen Gründe für die Abzweigung einer besonderen Instanz zum Zweck der gesamt-gesellschaftlichen Organisation aufzuzeigen. Er braucht nicht unbedingt der wesentliche Aspekt zu sein. Aus ihm kann sich aber konkreter als aus den sonst vorgenommenen Ableitungen eine Perspektive entwickeln, die mit dem gewiß widersprüchlichen Sachverhalt fertig wird: dass einerseits der Staat nichts, das Kapital alles ist; dass aber andererseits in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern die radikale Umwerfung unmenschlicher Produktionsweise weniger an der Machtvollkommenheit des Kapitals als an den konterrevolutionären Mechanismen und Techniken des kapitalistischen Staats scheitert. Die Klärung dieses elementaren Widerspruchs ermöglicht eine politische Umsetzung theoretischer Kapitalanalysen, die die besondere Wirklichkeit staatlicher Machtmechanismen praktisch durchschaut und sie also auch treffen kann. Hier bildet sich auch der Zusammenhang von ökonomischem und politischem Kampf, der den vereinzelten Konflikt zu einem umfassenden verallgemeinert. Eines erfährt der Klassenkampf stets an seinen Höhepunkten: Das Einzelkapital läßt sich schlagen; dahinter bleibt aber das theoretisch bloß „abgeleitete” politische Machtsystem, das praktisch das schon geschlagene Kapital retten kann. Fiat war im Herbst 1969 am Ende, der italienische Staat noch lange nicht.7 Um es noch einmal zu betonen: Nicht die bornierte formale Bestimmung (Verfassungsinstitute) ist damit gemeint, sondern die Organisationsformen, die unmittelbarer mit der Existenz einer politisch gefassten Gesellschaft verbunden sind. Darunter fallen Verbände, Massenmedien, Parteien, auch Arbeiterparteien, mit der ganzen, sehr elastischen Abstufung ihrer Möglichkeiten der Machtausübung und der Beeinflussung, die je nach der spezifischen ökonomischen Entwicklung und der Klassenlage manipulativ integrierend oder direkt unterdrückend vorgehen. Es kommt noch hinzu, dass gerade die teilweise Übernahme der Klassenreproduktion die Ein-bruchstelle in das politische Bewußtsein der Arbeiter bildet. Dies geschieht nicht nur in der Form der (in der Tat weitgehend illusionären) Sozialpolitik; sondern und entschiedener in der Form von Arbeiterorganisationen, die äußerlich die Präsenz der Klasse im bürgerlichen Staat darstellen und diesen zuweilen zu kurzfristigen, aber wirksamen sozialen Kompromissen zwingen können. Darauf gründet sich der Erfolg sozial-demokratischer Integrationsund Bestechungsversuche.8 Die Zuständigkeit des Staats für die Lebensmöglichkeit der Arbeiterklasse ließe sich nun aus der bekannten Funktion: „Herstellung der allgemeinen Produktionsbedingungen”, ebenso überzeugend wie nichtssagend ableiten. Fraglos bilden die Arbeiter in ihrer umfassenden gesellschaftlichen Existenz die allgemeinste Bedingung der kapitalistischen Produktion. Das erklärt jedoch die Einbruchstelle noch nicht ausreichend. Vielmehr zeigt sich in der Wirklichkeit, dass die Unzuständigkeit des Kapitals und seine Unfähigkeit durch die Form der eigenen Reproduktion bedingt ist. Das heißt: Es ist in der 23 kapitalistischen Produktion selbst angelegt, dass der Arbeiter unter den Bedingungen des Kapitalismus ebenso wenig ohne Staat auskommt wie das Kapital selbst. Mit einem wesentlichen Unterschied freilich: Dem Kapital ist der Staat das Instrument der Durchsetzung seiner Interessen und gleichzeitig der notwendige Organisator des äußeren Rahmens für die Verwirklichung solcher Interessen; dem Arbeiter erweist sich der Staat tagtäglich als Instrument seiner Unterdrückung, zugleich aber auch als Mittel seiner Existenz - die politische Seite der Entfremdung. Eine solche Funktion des Staats ergibt sich nicht aus politischer Machtvollkommenheit noch aus gewollter Abwälzung von Reproduktionskosten auf das Steueraufkommen. Es wirkt sich darin auch keine geplante Arbeitsteilung gesellschaftlicher Machtblöcke, etwa der Monopole und der politischen Bürokratie aus. Eher ist zu vermuten, dass sie durch die Widersprüchlichkeit von Arbeits- und Verwertungsprozessen bedingt wird, als der konkreten Bewegung, in der Arbeitskraft und Produktionsmittel zusammengefügt und Werte hervorgebracht werden. In diesem, dem eigentlichen Produktionsprozeß oder der einfachsten Basis des kollektiven Lebens erfährt der Arbeiter als Subjekt des Arbeitsprozesses lediglich eine abstrakte Vergesellschaftung. Nicht er wird Teil des Ensembles, sondern nur seine zum bloßen Objekt der Verwertung verkürzte Tätigkeit: seine verkaufte Arbeitskraft.9 Von der formalen Seite her stellt sich das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital als Tauschverhältnis dar, das von der materialen Seite her zu einem Ausbeutungsverhältnis wird. Diese Einschränkung, an die der lohnauszahlende Unternehmer bürgerlich gesehen durchaus zu Recht festhält, bestimmt das Ausmaß des Interesses des Kapitals an der Existenz der Arbeiter. Deren ganze Arbeitskraft und deren Lebensbedingungen werden im Produktionsprozeß selbst keineswegs reproduziert, vielmehr nur verwertet und gegen Äquivalent ausgetauscht. Gerade auf diese Weise konkretisiert sich die wesentlichere Seite der Privataneignung - wesentlicher als die Aneignung des gesellschaftlich hergestellten Gebrauchswerts. Noch bevor das Produkt und die „Gewinne” vom Kapital privatisiert werden, noch bevor also der Gebrauchswert zu einem bloßen Tauschwert reduziert wird, findet die Enteignung der Arbeitskraft und ihre Überführung in das Privateigentum der Unternehmer statt. Mit anderen Worten: Das Kapital ist an der eigenen Reproduktion und an der Wiedereinsetzbarkeit der Arbeitskraft zwar interessiert, aber es kümmert sich nicht um die Reproduktion der vereinzelten Arbeiter als konkrete Individuen. Es kümmert sich nur um die vergesellschaftete Arbeitskraft und verhält sich dem konkreten Arbeiter gegenüber genauso gleichgültig, wie ihm der Gebrauchswert und der Gebrauchscharakter einer Ware gleichgültig ist. Die Grobheit der Beziehung verlangt eine grobe Darstellung: Dem Kapital - und das ist in der Wirklichkeit keine mystische Gesamtgröße, sondern immer ein bestimmtes Unternehmen und ein bestimmter Unternehmer -kommt es in erster Linie darauf an, dass gegen gezahlten Lohn der einzelne und vereinzelte Arbeiter pünktlich und gesund das Fabriktor passiert und sich an die Arbeitsstelle begibt. Was sich außerhalb des unmittelbaren Tausch- und Ausbeutungsverhältnisses ereignet: Essen, Trinken, Familienleben, Schulbesuch der Kinder, Mütter- und Väterberatung der Arbeiterfamilie, Bumsen, Wohnen, gehört dem Bereich der Produktion nicht mehr an und entfällt förmlich, obwohl genau hierin (und nicht in der produktiven Verausgabung der Arbeitskraft) die wirkliche Reproduktion der Arbeiter als Gesamtgruppe, als Klasse stattfindet. In diesem spezifizierten Sinn fällt die Aufgabe der Reproduktion der Arbeiter organisatorisch dem Staat zu und verschafft ihm einen Spielraum für zweckbestimmte, das ist: im Interesse der Kapitalreproduktion liegende Entscheidungen, die äußerlich dem „Wohl der arbeitenden Bevölkerung” dienen.10 Wichtig ist dabei allerdings nicht der offensichtliche, wenn auch politisch in bestimmten Situationen durchaus wirksame Sozialbetrug. Wichtiges liegt nur in dem dahinter sich verbergenden 24 Vorgang. Im gleichen Maß, wie der Staat die umfassende Klassenreproduktion organisatorisch übernimmt, verstaatlicht sich die gesellschaftliche Existenz der Arbeiter. Hierin steckt die materielle Ursache der politisch-manipulativ erzwingbaren Fixierung der Arbeiter auf die staatlichen Verkehrsformen des Kapitalismus: ihrer Zustimmung zu dem sie in Ausbeutung haltenden System.11 Dies zeigt sich unmißverständlich im Sozialisationspro-zeß. In der Koppelung von Verstaatlichung der Sozialisation und Vergesellschaftung der Arbeitskraft enthüllt sich die enge Beziehung von Staat und Kapitalakkumulation, nach deren Erfordernis sich bekanntlich die Sozialisation gestaltet. Diese, unter dem verharmlosenden Namen der „Ausweitung der Staatsaufgaben” laufende Verstaatlichung nimmt immer härtere Formen an. Sie bedingt keineswegs eine neue Qualität des Staats - auch nicht aufgrund des bekannten und strapazierten Umschlags der wachsenden Quantität in eine neue Qualität. Es tritt durchaus die alte Qualität hervor, wenn auch in einer der Entwicklung angemessenen Form. Die Übernahme der Reproduktionsaufgaben durch den Staat, damit die Erhärtung von dessen besonderer Existenz, ergibt sich notwendigerweise aus dem Akkumulationszwang, der in der geschichtlichen Entwicklung sich sinnlich wahrnehmbar äußert als zeitökonomische Unmöglichkeit der Kapitalisten, sich direkt mit Politik zu beschäftigen. Sie hatten anderes, Wichtigeres zu tun: Sie mussten eben akkumulieren. Eine solche Übernahme kennzeichnet allgemein die kapitalistische Produktionsweise (die daher als solche eine Schwächung des Staats nicht durchhält); und ergibt sich nicht -wie einige Theorien es vermuten - aus der zunehmenden Monopolbildung und der ihr entsprechenden Allianz von Monopolen und politischem Apparat. Die allgemeine Schulpflicht als die erste Stufe einer durchgängigen Verstaatlichung der Sozialisation wurde in Preußen gewiß nicht unter dem Druck einer politischen Allianz von Ruhrmonopolen und hohenzollernschem Hof eingeführt.12 Die unvermeidliche Borniertheit und Unbekümmertheit der Einzelkapitale bleibt nicht ohne Folgen. Sie wirbelt dialektisch die mechanische Gegenüberstellung Staat-Gesellschaft, oder PolitikÖkonomie, Basis-Überbau durcheinander. Es braucht zunächst gar nicht betont zu werden, dass der Staat die gesellschaftliche Reproduktion der Arbeiterklasse nur dann trägt, wenn er selbst ökonomische Potenz ist, also eine eigene ökonomische Basis hat.13 Überdies: So trennbar der Staat als außer der Konkurrenz und der unmittelbaren Kapitalbewegung stehende Reproduktionsinstanz auch von der wirklichen Basis der Gesellschaft sein mag, so verbunden bleibt seine Tätigkeit mit der Kapitalproduktion selbst, da - über die Vermittlung des Tauschverhältnisses zwischen Kapital und Lohnarbeiter - der Arbeiter, der für das Kapital nur in der Form des variablen Teils in die Mehrwertproduktion eingeht, als konkreter Pol des Tausches, als Verkäufer von Arbeitskraft, nicht innerhalb der Kapitalbewegung mystisch entsteht (kein Produkt der Verwertung ist), sondern Existenz aus der umfassenden Verkehrsform der Gesellschaft ist. Das bedeutet schließlich: Die gesellschaftliche Eigenschaft des Arbeiters, Mehrwertproduzent zu sein, ergibt sich unmittelbar aus dem ökonomischen Gang der Verwertung; die gesellschaftliche Existenz der Arbeiterklasse findet tatsächlich außerhalb der unmittelbaren Tauschbeziehung statt, die vielmehr diese Existenz nur ermöglicht. Anders gesagt: Setzt auch das Leben, das materielle Leben des Arbeiters die Kapitalproduktion voraus (denn ohne sie wird kein Lohn ausbezahlt), so kann das Kapital selbst die Erledigung des komplexen und umfangreichen Geschäfts der Organisation des Lebens nicht bewältigen. Wird aber dieses Geschäft vom Staat bewältigt, so „greift” dieser in die Verwertung selbst viel konkreter „ein”, als in der bloßen Maßnahme der wirtschaftspolitischen Intervention. Diesen notwendigen Eingriff leistet er nicht infolge der eigenen, bedingten Formbestimmtheit politisch-rechtlicher Art (Verfassung, Regierungsform, Freiheit der demokratischen Grundordnung), sondern durch seine tatsächliche Gewalt und durch die ihm zur Verfügung stehenden und auf sein 25 Organisationsziel hin verfügbaren Machtmittel zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse. Also: nicht kraft Ideals, sondern kraft Amts, das seine Schranken gerade nicht in der bloß abgeleiteten Qualität seiner Machtausübung findet, sondern im Organisationsziel selbst, das die Machtdelegation mit einem imperativen Mandat versieht: die Garantie der Akkumulation. So schließt sich der sozialen Verdoppelung des Staats ohne Bruch diese zweite Verdoppelung an. Einmal liegt eine rein ideologische Formbestimmtheit vor, der eine ideologische Funktionalität entspricht (die Funktionalität bestimmter Verfassungsordnungen für die kapitalistische Produktionsweise). Zum anderen entwickelt sich eine organisatorische Formbestimmtheit, die die Verwirklichung des gesellschaftlichen Inhalts (eben Kapitalakkumulation) überhaupt erst möglich macht: die reale Funktionalität, die die abstrakte Basis-Überbau-Trennung ebenso aufhebt wie die Geschlossenheit einer selbständigen und selbstbezogen handelnden politischen Sphäre sprengt. Diese Funktionalität bestätigt nicht nur die Produktionsver hältnisse. Sie dehnt sich auch auf die inhaltliche Gestaltung des Tauschverhältnisses aus. Die unmittelbare Beziehung von Ar beitern und Kapital, die sonst sich als Marktbeziehung dar stellt, erfährt selbst eine zunehmende Verstaatlichung. Der Staat unterwirft der gesetzlichen Regelung Vorgänge, die frü her sich naturwüchsig (auf dem Markt) vollzogen. Wie Marx richtig prognostizierte, verwirklicht sich im Spätkapitalismus in noch stärkerem Maße als in der ersten Phase der Kapitalakku mulation das allgemeine Reproduktionsprinzip kapitalistisch produzierender und bürgerlich organisierter Gesellschaften: das Prinzip des politischen Staats. dass die Beziehungen zwi schen Lohnarbeit und Kapital tendenziell zur Institutionalisie rung drängten, lag schon im rechtlich-vertraglichen Charakter der Abmachung zum Verkauf von Arbeitskraft. Nicht umsonst findet die Bourgeoisie im Rechtsstaat ihr eigenes kollektives Lebenselement. „Da der Staat die Form ist, in welcher... die ganze bürgerliche Gesellschaft einer Epoche sich zusammen fasst, so folgt, dass alle gemeinsamen Institutionen durch den Staat vermittelt werden, eine politische Form erhalten” (Marx: Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 62). Da wird das Lohnverhältnis zum Politikum, seine Fassung zur politischen Form, die Ausbeutung zur rechtsstaatlich sanktionierten Unterwerfung. Unumgänglich „müssen die Proletarier, um persönlich zur Geltung zu kommen, ihre eigene bisherige Existenzbedingung, die zugleich die der ganzen bisherigen Gesellschaft ist, die Arbeit, aufheben. Sie befinden sich daher auch in direktem Gegensatz zu der Form, in der die Individuen der Gesellschaft sich bisher einen Gesamtausdruck gegeben, zum Staat, und müssen den Staat stürzen, um ihre Persönlichkeit durchzusetzen” (Marx: Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 77). Die Verdoppelung in der sozialen Funktion: auf der einen Seite nur das Kapital, auf der anderen Seite aber auch die Gesamtgesellschaft zu vertreten, konkretisiert sich erst in diesem Widerspruch von Ideologie und organisatorischer Macht. Und eben hierin liegt der Kern des widerspenstigen Pudels: der „Staatsautonomie”, die genau in dem Moment keine ist, in dem sie sich zu konstituieren scheint. Der Staat entfaltet sich in der Wirklichkeit als eine Instanz, die keine bloß ideologische Konstruktion mehr ist. Die Kategorie des Überbaus trifft in dem Moment nicht mehr für ihn zu, in dem er für die Reproduktion des ganzen Tauschverhältnisses „zuständig” ist. Zugleich aber gerät der Staat immer mehr unter die Bedingungen der Verwertung selbst in dem gleichen Maße, in dem er zunehmend durch die Regelung des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital in die Grundstruktur der Verwertung eingreift, um sie durchgängig garantieren zu können. Deshalb ist er auch etwas ganz anderes als ein bloßer Apparat der Macht politischer Führungsgruppen, der diesen Führungsgruppen frei zur Verfügung stünde und über den konsequenterweise ohne Rücksicht auf die Kapitalverwertung frei verfügt werden könnte, sofern man die Macht ergreift - zum Beispiel um eine abgehobene Reformpolitik durchzuführen. Mit der autonomen Intervention hat der Staat sich schon 26 längst selber in die Grundstruktur der Verwertung begeben und unterliegt unmittelbar deren Logik. Erst dieser Prozeß macht die wirkliche, nicht personell bedingte oder an Gruppeninteressen (z. B. der Monopole) gebundene, sondern wesentliche Symbiose von Ökonomie und Politik aus. An diesem Aspekt verdeutlicht sich der Widerspruch zwischen ökonomischer Erfordernis und politischem Wollen. Die gesamtgesellschaftliche Garantie liegt nicht lediglich in dem als Gesetz verkündeten, mit Gewalt durchsetzbaren Programm der oberflächlichen Aufrechterhaltung von Herrschaft vor: in der klassischen Form des Klassenstaats liberal-polizeilichen Typus, der die Ökonomie von außen unterstützt und ihrer Entfaltung freien Lauf läßt. Seit Beginn des Imperialismus hört der Staat auf, bloßer Nachtwächter der Bourgeoisie und Tagespolizist gegen das Proletariat zu sein. Der Faschismus enthüllte in der besonderen geschichtlichen Lage einzelner Nationalgesellschaften mit seinem korporativistischen „Dreieck” Arbeiter-Unternehmer-Regierung vollends das enger gewordene Verhältnis von Ökonomie und Politik.14 Die politisch gesicherte Existenz der Klassengesellschaft hat schon längst den äußerlichen Charakter abgestreift und tritt funktional nicht mehr nur mit der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit, sondern mit der Reproduktion des sich verwertenden Kapitals in Verbindung. Daher schließt sie auch punktuell die Einschränkung der Lebensbedingungen der Kapitalistenklasse und der Verwertungsbedingung einzelner Kapitale ein, wenn sich die Einschränkungen als akkumulationsnotwendig erweisen. Das bedeutet: Die Garantie geht von der staatlichrechtlich durchsetzbaren Aufrechterhaltung der politisch vermittelten Klassenmacht des Kapitals zwar aus; zugleich aber hinüber zur ökonomisch wirksamen Regelung der Mehrwert-produktion. Die Regelung ist fraglos der Mehrwertrealisierung, dem Markt und dem Konkurrenzverhältnis vorgelagert und stellt insofern keine „Wirtschaftslenkung” im üblichen Sinn dar. Andererseits: Besteht Ökonomie als materielle Basis wesentlich in der Herstellung von „Lebensmitteln” aller Art und in der Reproduktion der, dieser Herstellung zugrunde liegenden Verhältnisse, so vollzieht sich der wirkliche Prozess der gesellschaftlichen Reproduktion in erster Linie in der Produktionssphäre. Darüber herrscht Einigkeit. Wenn aber dem so ist, so trifft es ebenso zu, dass der „Staat” - um es noch einmal zu betonen -permanent genau in diese Sphäre eingreift. Dies ereignet sich bei jeder staatlichen Maßnahme der Einkommenspolitik, bei jeder Tarifverhandlung, bei jedem Akt gesetzlicher Festlegung eines Mindesturlaubs. Auch bei Tarifverhandlungen, denn die Gewerkschaften gehören zwar der „Verfassungsordnung” formell nicht an, bilden dennoch einen Teil des politischen Systems. Nicht von ungefähr fällt die endgültige Klärung der Schadensersatzansprüche der Metallindustrie Schleswig-Holsteins gegenüber der IG-Metall (nach den großen Streiks 1956) in die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts. Festlegung von Löhnen (wozu auch die gesetzliche Normierung eines Mindestlohns gehört, ebenso aber die durch Staatsgesetz verfügbare Beteiligung des Kapitals an der ärztlichen Wiederherstellung der Arbeitskraft, da dies einen Teil des Lohns ausmacht) entscheidet keineswegs über Klassenherrschaft. Sie gehört aber, als Festlegung des Tauschäquivalents, direkt der Kapitalverwertung an - dem ökonomischen Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital. Darin wirkt sich gewiß die Kapitalbewegung aus, aber nicht, weil der Staat ausgeschaltet bleibt, sondern weil er - eben der Staat des Kapitals ist. Nicht, dass es keine wirtschaftspolitischen, Lenkungsversuche gäbe. Im Gegenteil: sie rücken immer mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und bestimmen auch in einem erheblichen Grad Verschiebungen innerhalb des Apparats und der Machtstrukturen des Staats. In dieser Hinsicht verdienen die in Frankreich und in Italien bestehenden Planungskommissionen eine genauere Analyse - nicht so sehr ihres doch kümmerlichen wirtschaftspolitischen Erfolgs wegen, sondern auf Grund der politischen Verschiebungen, die ihre Tätigkeit hervorruft. Die zur ökonomischen Planung und zur Krisenvermeidung geschaffenen Machtzentren funktionieren weiter, auch wenn sie erfolglos bleiben, und verschärfen derart die gesellschaftliche Unterdrückung: gegen Kapitalanarchie geschaffene Ketten, an die am Ende nicht die Unternehmer gelegt werden, sondern die Gewerkschaften. Ähnliches, obgleich auf einem komödienhaften Niveau, geschieht in der westdeutschen Konzertierten Aktion, die ohnehin nur Einkommensplanung anstreben soll. Für die inhaltliche Bestimmung der staatlichen Funktion bleibt der Regelungsversuch in der Produktionssphäre wesentlich. Auf dem Weg der Verrechtlichung der Klassenbeziehungen - einer Verrechtlichung, die bis in die Betriebe hineinreicht (siehe Betriebsverfassungsgesetz) - fasst der Staat die Produktion als Prozess und als Verhältnis in institutionalisierten Formen zusammen.15 Hierin behauptet der Staat seine spezifische Eigenschaft und seine geschichtliche Existenz, die politische Form kapitalistisch produzierender, bürgerlich konstitutionalisierter Gesellschaften zu sein. Gleichgültig, wohin die Reflexion ihn einordnet: in den Überbau, in die bloße Formbestimmtheit, in die Ideologie (lauter Reflexionskategorien), er ist und bleibt in der immanenten Anarchie der Kapitalbewegung und in dem darin sich verwirklichenden doppelten Konflikt der Kapitale und der Klassen der einzige reale Gesamtorganisator. Der Ruf nach dem Schutz des Staats und nach den rettenden Kräften beim Ausbruch gesellschaftlicher Krisen, den die Unternehmer ausstoßen, hat gar keinen „ideologischen” Grund. Er entspricht einer ökonomischen Zwangssituation: das Kapital läßt sich nur in einem „regierbaren” Land verwerten. Wie gesagt: Das macht die Widersprüchlichkeit der Autonomie aus. Im Prinzip liegt sie als materiale Unabhängigkeit politischer Führungssgruppen (Parteiapparate, Staatsbürokratie, Regierung, Parlamente, Gerichte) gegenüber den ökonomischen Zusammenballungen nicht vor, da die Inhalte der Politik, selbst der Interventionspolitik, von den Erfordernissen der Reproduktion des materiellen Lebens bestimmt, also vom Zwang zur Verwertung und zur Akkumulation (zum „Gewinn” als dem auch bürgerlich eingestandenen Motor unserer Gesellschaft) diktiert werden. Die Herren des Staats üben Macht über das Volk aus; und keine gesellschaftliche Herrschaft, die sich gegen die Herren der Ökonomie kehren könnte. Gewiß tritt der Staat zuweilen als Ausgleichsinstanz unterschiedlicher Kapitalinteressen auf und kann unter Umständen zwischen verschiedenen Verwertungsperspektiven (den sogenannten Kapitalfraktionen) wählen. Die Perspektivwahl selbst erfolgt nicht nach dem freien Ermessen der Politiker, sondern nach dem unterschiedlichen Druck in der Akkumulation der einzelnen Industriezweige und Produktionsabteilungen. Von der formalen Seite sieht das Verhältnis jedoch anders aus. Der Staat könnte die ihm zufallende organisatorische Arbeit gar nicht leisten, wäre er nicht mit formal eigenständiger Macht ausgestattet.16 Dabei stehen sich materiale Abhängigkeit und formale Selbständigkeit nicht abstrakt-getrennt gegenüber. Sie unterscheiden sich in wichtigen Aspekten, so z. B. hinsichtlich ihres Verschleierungscharakters. Gerade die Möglichkeit der Perspektivwahl verdunkelt das ganze Verhältnis: Was spezifischen Kapitalbewegungen folgt, erscheint als freie politische Entscheidung. Formal hingegen tritt die Autonomie unverhüllt hervor: Sie ist klar erkennbar und gibt sich freudig zu erkennen, denn gerade in der offenen Art ihrer Durchsetzbarkeit steckt ihre Fähigkeit, den realen Prozeß zu verdecken. (Selbst die mächtigsten Monopole sind nicht in der Lage, von sich aus Gesetze zu verkünden.) In der Wirklichkeit pendelt die Politik ständig zwischen beiden Polen hin und her: auch formale Macht ist reale Macht. Hinzu kommt noch die „Berechtigung des Zufalls” (Marx, Grundrisse S. 30), der jederzeit zu unvorhergesehenen Machtkonstellationen führt und den Spielraum der Autonomie 28 erweitert. Im konkreten Fall kann die formale Macht selbst zur materialen werden, wenn die zu regelnden Inhalte aus der Mehrwertproduktion herausfallen und unmittelbar nur das private Leben der „Staatsbürger” betreffen. Verliert die Ökonomie ihr unmittelbares Interesse an der Politik, so wird diese aus der materialen Abhängigkeit entlassen. Nicht hinter jeder Maßnahme des Staats steckt ein Verwertungsinteresse; noch äußert sich in jedem Gesetz der politisch umgesetzte Wille irgendeiner Kapitalfraktion. Auf der zwar nicht ökonomiefreien, aber von der material unmittelbaren Herrschaft des Kapitals frei gelassenen Ebene tummeln sich selbständig Politiker, Parteien, Sittlichkeitsvereine, der Sportbund und die Dichter. Gerade für die Rolle eines Gesamtorganisators aber ist diese partielle Autonomie bedeutsam, zumindest ideologisch nützlich. Die Lückenlosigkeit einer nur vom Verwertungsinteresse bedingten Bestimmung der Politik erscheint stellenweise aufgebrochen. Die propagierte Orientierung des Staats am Allgemeinwohl erhält eher Überzeugungskraft, wenn solche Bereiche einer inhaltlich werdenden formalen Eigenständigkeit erstens breit genug sind; zweitens und vor allem öffentlich verbreitet werden. Daher auch das unverhältnismäßige Gewicht, das sie bei den Massenmedien bekommen. Man denke an die Diskussion über die Freigabe der Pornographie - eine vermutlich völlig frei von ökonomischen Pressionen zustandegekommene Entscheidung, die wirkungsvoll die Freiheit eines politischen Systems dokumentiert, dessen organisatorische Macht vielmehr im Dienst der Erhöhung der Arbeitsintensität steht und der Bestätigung des Ausbeutungsverhältnisses. (Oder auch: die Pornographie wird freigegeben; den Linksradikalen das Berufsrecht weggenommen, sofern - und hier bricht wieder die Verwertungsorientierung durch - die Ausübung eines Berufs mit emanzipatorischem Gebrauch des Organisationsapparats verbunden werden kann.) Das Wichtigste an der formalen Autonomie freilich, die zugleich sich als Macht der Form darstellt und als solche sich legitimiert (der klassenenthobene, an partikulare Inhalte nicht gebundene Staat), liegt darin, dass sie in der Ausübung des staatlichen Hauptgeschäfts sich in einer allgemeinen Organisationsbefugnis konkretisiert. Eine solche Befugnis steht dem realen Kapital, also dem Einzelkapital nicht zur Verfügung, noch hätte sie als Kommandogewalt eines Kapitalisten eine ausreichende Legitimationsbasis. Sie könnte also unter den Bedingungen der heutigen Gesellschaft das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital nicht einmal partiell regeln (im Rahmen eines einzelnen Betriebs), stünde sie nicht in der alleinigen Verfügung des Gesamtorganisators. So betrachtet, ist der Staat als politisches System kein „Agent” des Kapitals, auch wenn in besonderen geschichtlichen Situationen eine Regierung als Agentur einzelner Großkapitale und Monopole Partikularinteressen grob-sinnlich zum Erfolg verhilft. Es gibt ohne Frage Politiker, die schlichtweg bestochen sind; ebenso wie massive Druckversuche des Kapitals bei der Ausgestaltung der staatlichen Praktiken in der Wirtschafts-Han-dels-Außenhandelspolitik. Er, der Staat, kann kein Agent des Kapitals sein, weil das Gesamtkapital keine reale Größe ist, sondern eine allerdings reale Vermittlung - es sei denn, das Gesamtkapital fiele mit dem Gesamtorganisator zusammen. Er richtet sich nur punktuell nach dem Einzeldruck, im wesentlichen organisiert er die gesamtgesellschaftliche Reproduktion in der allgemeinen Linie des gemeinsamen Interesses aller Einzelkapitale an der Akkumulation.17 Das ist eine grobe Strukturierung, die im Einzelfall sicherlich der Spezifizierung bedarf. Zu fragen wäre z. B. nach den besonderen Beziehungen zwischen Gesamtorganisator und den einzelnen quantitativen Formen des Kapitals: Kleinkapital, Mittelkapitale, Monopole. Man soll sich auch vor der Mystik allgemeiner Ableitung hüten und dem Zufall, dem von Marx erwähnten, die Existenzberechtigung nicht absprechen. Bei der Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik wie selbst bei der staatlich durchgesetzten Regelung der Produktionsverhältnisse stellen sich häufig unmittelbar 29 gegebene, insofern nur künstlich ableitbare Beziehungen zwischen ökonomischen Gruppen und politischen Entscheidungsgremien ein. Ebenso können Politiker in der Anwendung ihrer formalen Macht zuweilen gegen Kapitalinteressen verstoßen, ohne dass das Kapital in der Lage sei, sie zur Ruhe zu setzen. Es liegt im objektiven Zusammenhang, ob formale Macht auch auf der Ebene der Kapitalreproduktion und nicht nur in Randbereichen sich verselbständigt und akkumulationswidrig verfährt. Das trifft zum Beispiel für eine ganze Reihe wesentlicher Entscheidungen der faschistischen Führung in Italien ab 1936 ebenso zu, wie für rein politisch motivierte, daher auch als „einsam” bezeichnete Beschlüsse des ersten Kanzlers der BRD (Röhrenembargo). Bleibt diese Möglichkeit des Verstoßes der Politik gegen die Ökonomie, d. h. im Grunde des Mißbrauchs politischer Macht außeracht, so verkommt das dialektische Verhältnis zur bloßen Mechanik, aus deren Sinnlosigkeit man sich nur durch phantasievolle Ableitungen retten kann. Vielmehr zeigen gerade diese Verstöße mehr als alle Abhängigkeit politischer Gruppen von den ökonomischen Erfordernissen, worin die Grenzen der formalen Macht des Staats liegen. Nicht die punktuelle Möglichkeit der Politik, sich akkumulationswidrig und kapitaldesinteressiert zu verhalten und zu entscheiden, macht die wirkliche Autonomie aus. Autonom handeln nur Politiker, die die Disfunktionalität ihrer Entscheidungen - Dis-funktionalität zur Akkumulation - durchhalten können. Gegen das rationale Programm des Kapitals kann jeder, auch ein Parteiführer und ein Staatsdiktator spinnen. Die Frage ist, wie lange man ihn spinnen läßt. Fehlt die Funktionalität und kündigt das Kapital das politische Bündnis mit der Staatsführung (also mit der stofflichen Seite des Staats) auf, so wird einem Regime oder einer Führungsgarnitur der Boden entzogen. Das gilt für den Übergang vom alten liberalen Staat zum faschistischen Regime und für die Restauration des parlamentarischoligarchischen Staats im gleichen Maß. Wenn auch vorläufig festzuhalten ist, dass ein jedes bürgerliches System entweder personell oder strukturell transformiert wird, sobald es gegen den Akkumulationszwang verstößt, so bestimmt der gleiche Zwang auch die entgegenläufige Wirklichkeit des Staats - nicht als ökonomische, sondern als schlichte politische Potenz. Eine jede Befreiungsstrategie, die diese Ver doppelung der bürgerlichen Gesellschaft lediglich als Sache der bürgerlichen Gesellschaft ansieht und als deren Sorge; und da her entweder nur gegen das Kapital oder nur gegen dessen poli tische Organisation vorgeht oder - was noch schlimmer ist - ar beitsteilig den politischen und den ökonomischen Kampf trennt, scheitert am eigenen Realitätsverlust. Die FIAT-Arbeiter sahen die Realität genau in der Festlegung der Objektive ihres Kampfs: fabbrica e Stato. Zusammenfassend: Die reale Funktion als Gesellschaftsplaner wächst dem Staat insofern aus der Kapitalbewegung zu, als der Akkumulationszwang die Tätigkeit des Kapitals auf die eigene Verwertung und Realisierung, also auf die bloß ökonomische Reproduktion einengt. Das wurde oben am Problem der Reproduktion der Arbeiter deutlich. Dies gilt erst recht bei der allgemeinen Verrecht-lichung des Klassenverhältnisses, sobald dieses sich als gesellschaftlicher Antagonismus darstellt und die Sphäre der unmittelbaren Mehrwertproduktion und der unmittelbaren Konfrontation im Betrieb überschreitet. Das Einzelkapital - selbst der größte Konzern - plant die Produktion von Mehrwert; kann u. U., allein oder über Kartellierung, selbst die Realisierung des Mehrwerts in Profiten auf den Markt planen. Es kann Formen und Intensität der Ausbeutung und auf diese Weise auch das unmittelbare Verhältnis vom konstanten zum variablen Kapital, die unmittelbare Klassenbeziehung im Betrieb zeitökonomisch und lohnpolitisch bis ins einzelne regeln und derart die Arbeiter in die Verwertung einplanen. Die für die Kontinuität seiner Produktion wichtigste Aufgabe entzieht sich aber seiner Planungsmöglichkeit. Das Einzelkapital schafft es nicht, soziale Auseinandersetzungen und Konflikte, zugespitzt: den Klassenkampf, planbar zu machen. Selbst bei geringfügigen 30 Umweltkonflikten muss es bekanntlich die staatliche Vermittlung einschalten. Aus eigener Macht zwingt es zu massenhaftem Verkauf der Arbeitskraft, bringt aber gesellschaftliche Widersprüche und Widerstände nicht unter Kontrolle. Vielmehr ist seine eigene Reproduktion die Ursache solcher Konflikte und seiner Unfähigkeit, sie zu lösen - im gleichen Maß zum Beispiel, wie die Reproduktion zyklisch verläuft und soziale Krisen hervorruft. Auch hier: das Kapital bewältigt die eigene Wirklichkeit nicht. Aus ihm entsteht gesellschaftliche Anarchie, durch seinen Druck breitet sich Reproduktionschaos aus, entfalten sich Klassenkämpfe. Aus der ihm eigenen Kraft kann es aber weder gesellschaftliche Prozesse in der Hand halten noch gesellschaftliche Existenz organisatorisch sichern, noch Klassenkämpfe neutralisieren. Das leistet nur das organisatorische Gesamtsystem, der „Staat” in seinen wirklichen politischen Strukturen, die - um es noch einmal zu sagen - breiter und konkreter angelegt sind als das, was man üblicherweise Staatsorgane nennt. Hier zeichnen sich die entscheidenden Widersprüche ab. Die Unfähigkeit des Kapitals, mit der Desintegration in der Fabrik fertig zu werden und die Konflikte zu meistern, sowie die entsprechende Delegation der organisatorischen Macht an den Staat bedeutet keineswegs, dass der Riß langfristig oder gar endgültig zugenäht wäre. Wenn das Kapital die soziale Befriedung nicht schafft, und das bedeutet: als Einzelkapital sie weder finanzieren noch planmäßig durchführen kann (auf Grund sonst drohender Unterbrechung der eigenen Verwertung und also des Endes der eigenen Akkumulation); und der Staat die Krisenbewältigung übernimmt, so braucht sich der Erfolg nicht unbedingt einzustellen. Die Bedingungen von Erfolg oder Mißerfolg liegen vielmehr außerhalb des Befriedungsund Ordnungswillens des Staats wie außerhalb des Verwertungswillens des Kapitals, weil sie innerhalb des Produktionsprozesses und dessen staatlich besorgter Verrechtlichung, aber zugleich gegen sie sich erfüllen.18 Die Koppelung von Produktionsverhältnis und Verrechtlichung der Beziehungen in der Produktionssphäre, heute Bedingung für die Weiterexistenz des Kapitalismus, trägt in sich dieses vorantreibende negative Element. Hier verbinden sich in der Tat Fabrik und Staat. Die Desintegration in der Ökonomie (die Störung und Zerstörung des Produktionsflusses) trifft auch die Politik, wenn die Verrechtlichung und die Verstaatlichung der Konflikte im Betrieb und „in der Stadt” der Klassenoffensive nicht standhält. Die Arbeiter können sich durch Insubordination (den großen Schrecken, also Terror, vor dem sich die Bourgeoisie am meisten fürchtet) dem Ausbeutungsmechanismus der Fabrik und dem Machtmechanismus des Staats gleichzeitig entziehen.19 In solchen geschichtlichen Situationen ist eine Gesellschaft nicht mehr regierbar und Kapital nicht mehr verwertbar. Und umgekehrt: Gegenüber der Möglichkeit solcher Situationen muss der kapitalistische Staat durch langfristige institutionelle Strategien versuchen, die Voraussetzungen für die Regierbar- keit und Reproduzierbarkeit einer ökonomisch und sozial aus den Fugen sich begebenden Gesellschaft herzustellen und auf rechtzuerhalten. ' Der Realitätsgrad des Staats hängt von seiner Möglichkeit ab, Krisensituationen zu bewältigen, die die Kapitalakkumulation unvermeidlich hervorbringt. Man kann es freilich auch anders ausdrücken: von seiner Fähigkeit, Befreiungsbewegungen und die Tendenz zur Freiheit einzudämmen und zu neutralisieren.

Der Staat - Gesellschaftsplaner und realer Kapitalist

Wirtschaftskrisen und Unregierbarkeit einer Gesellschaft hängen geschichtlich gesehen nicht unbedingt zusammen. Ebenso wenig führen antizyklische Eingriffe des Staats zu einem Wechsel 31 politischer Institutionen, nicht einmal zu einem Regierungswechsel. Fraglos bringen ökonomische Krisen die Widersprüche des Kapitals ans Licht, zeigen konkret seine Unfähigkeit, die eigene Wirklichkeit zu bewältigen und zugleich die Brüchigkeit seines Staats. Bei diesem wird vor allem die Labilität seiner Stellung zwischen konkurrierenden, der Rettung und der Reproduktionsgarantie bedürftigen Kapitale und Kapitalgruppierungen auf der einen Seite deutlich; wie auf der anderen Seite der Zwang, sich in dem Dilemma als Stütze einer Restmöglichkeit der VerwertungExistenzsicherung der Arbeiter (Währungsstabilität-Vollbeschäftigung) zu offenbaren. Eine „Staatskrise” folgt aber daraus nicht: das „Land” bleibt regierbar.20 Für die politischen Führungsgruppen tritt allerdings eine Erschwerung der spezifischen Aufgabe ein, allgemeine Erfordernisse der partiell unterbrochenen Akkumulation (die die durchgängige Abhängigkeit der Politik vom Kapital bedingen) und die dringender werdenden Forderungen der Einzelkapitale nach zumindest minimaler Profitsicherung untereinander auszugleichen. Die Lage - eine durchaus normale - kann aber gemeistert werden, selbst beim Auftreten sozialer Erschütterungen bleiben diese im Rahmen des resignierenden Protestes oder der ritualisierten gewerkschaftlichen Reaktion. Gegen einen zur punktuellen autonomen Aktion drängenden Protest reichen Manipulation und Unterdrückung als gewöhnliche Mittel zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Reproduktion vollauf aus. Gewiß kann sich in besonderen Situationen (Italien 1920-22; Deutschland 1933) die Rekonstruktion des normalen staatlichen Lebens mit einer auch konstitutionell gefassten Veränderung des politischen Systems verbinden. Dies bedeutet aber lediglich, dass die Reproduktion nur auf der institutionellen Ebene in eine Krise geraten ist; und dass sie wieder in Gang gebracht wird durch entsprechende institutionelle Korrekturen. Auch in diesem Fall bleibt das Land regierbar, die korrigierten Spielregeln erfüllen ihre integrative Funktion und das Kapital regeneriert sich durch die Krise hindurch. Dies gilt allgemein für alle zyklischen Rezessionen. Die jetzige wird - sofern sie im ökonomischen verläuft - ebenso wenig zum Untergang des Kapitalismus führen wie die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre. Sie hat sicherlich ihren „wirtschaftswissenschaftlichen” Sinn: Sie räumt mit der Illusion einer antizyklischen Politik auf, die im intervenierenden Staat Keynesschen Typs monetäre Maßnahmen und psychische Investitionsreiz-Entwicklung als Garantie des Wachstums gefunden zu haben glaubte. Sie räumt auch mit Vorstellungen auf, die auf dem Umweg verschlungener Vermittlungen zur Doktrin des programmierbaren staatsmonopolistischen (Privat)kapitalismus geführt hatten. Und sie hat politisch-ökonomisch einen noch konkreteren Sinn. Durch diese Krise entfällt auch die letzte, kommunikativ verbreitete Hoffnung auf eine Versöhnung von Arbeit und Kapital im Zeichen einer unendlich fortschreitenden Prosperität der kapitalistischen Länder. Die Frage ist nur, ob die Rezession im ökonomischen bleibt, ob sie überhaupt lediglich auf die bekannten, theoretisch hinlänglich geklärten zyklischen Ursachen zurückzuführen ist. Oder ob sie sich in dem Maße mit den „klassischen” Mitteln einer staatlichen Verwaltung ökonomischer Schwierigkeiten nicht mehr bewältigen läßt, in dem in den sozusagen normalen Ablauf kapitalistischer Zyklen ein Bruchfaktor nicht mehr rein ökonomischer Art eingebrochen ist und die Gesetzmäßigkeit der Kapitalbewegung von innen her über den Haufen geworfen hat. dass die Wiederherstellung, vielmehr die erneute Erkennbarkeit des Konkurrenzverhältnisses auf dem Weltmarkt dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat, hängt mit dem Totalitätscharakter der Produktionsweise zusammen: Die Unfähigkeit und die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus wurden wieder ins Bewußtsein gehoben. Dennoch liegt die entscheidende Ursache nicht im Konkurrenzverhältnis. Maurice Dobb konnte neulich feststellen, dass selbst einer äußerlich gesehen rein wirtschaftlich- 32 monetären Erscheinung wie der Währungskrise und der Weltinflation in Wirklichkeit tiefer greifende Klassenkonflikte zugrunde liegen. (Diskussion in der Unitá, 23., 28., 30. April und 4. Mai 1974.) In der Tat ist der „soziale Friede” in seinen vielfältigen Formen der Manipulation, der Integration, des sozialen Betrugs und der sozialen Errungenschaften inzwischen weltweit aufgekündigt worden. Wenn auch in verschiedener Stärke, je nach der besonderen geschichtlichen Lage der einzelnen kapitalistischen Nationalgesellschaften, meldet sich immer mehr die „Negation von Fabrik und Staat” an, überspringt günstige konjunkturelle Aufschwünge, verschärft die ökonomische Krise dort, wo diese aus der Kapitalbewegung entsteht - oder führt sie herbei, wenn sie sich zyklisch noch nicht einstellt. In einer solchen Situation nutzen alle Interventionsmöglichkeiten und Stabilitätsmaßnahmen des Staats nicht mehr viel, die Kapitalreproduktion noch zu retten. Die Negation zielt im Grunde weder auf Demokratisierung politischer Zustände und Institutionen noch auf eine „Humanisierung” der Mehrwertproduktion, noch - trotz Sorge um den Arbeitsplatz - auf die Wiederankurbelung der Ausbeutung. Als unlösliche Einheit von Befreiung und Befriedigung der Massenbedürfnisse setzt sie sich andere Ziele, die selbst dort revolutionär sind, wo das volle Bewußtsein ihres umwälzenden Charakters noch fehlt und sie in biederer Art als UmweltschutzAktion (ein Beispiel für viele) ausgegeben wird. Analysiert man diese Ziele genau, hinter den zuweilen zweifellos unsicheren, rohen oder schillernden Erscheinungsformen, die sie annehmen - und die auch zu scheinbar irrationalen, bürgerlicher Betulichkeit nicht ganz geheuren Ausbrüchen zweideutiger Art führen können21 - so konkretisieren sie sich auf zwei Ebenen, auf denen die wesentlichen Prozesse der gesellschaftlichen Existenz stattfinden. Einmal vollzieht sich in der Sphäre der unmittelbaren Produktion, innerhalb der stofflichen Seite des Verhältnisses Kapital-Arbeit in zunehmend starkem Maß, auch wenn die Intensität von Land zu Land variiert, eine der Kapitalverwertung zuwiderlaufende Bewegung. Die „Arbeiterrebellion”, gesteigert zuweilen bis zur schlichten Arbeitsverweigerung selbst in Rezessionszeiten,22 zielt ohne die traditionelle politische Vermittlung, d. h. ohne repräsentative Organisationen dazwischen zu schalten darauf, die gewalttätig-degradierende Funktionalität des Verwertungsprozesses zu treffen, sie durch eine andere Form der Arbeit: durch freie, schöpferische Tätigkeit abzulösen. Der Aufstand des Arbeitsprozesses gegen den Verwertungsprozeß in der Produktion mag auch zur Humanisierung der Arbeit beitragen. In Wirklichkeit trifft er den Kern der kapitalistischen Produktionsweise und will sie nicht verbessern, sondern zerstören. Zerstörerisch - und daher zwingend unter Kontrolle zu bringen - sind die im Laufe der langjährigen Rebellion entwikkelten Kampfformen. Sie konkretisieren sich vor allem in einer strategischen Linie der permanenten, autonomen Arbeitsunterbrechung und Arbeitsinsubordination, die - wie das italienische Beispiel zeigt - heute für die „normale”, das ist entlang ökonomischer Gesetzmäßigkeit verlaufende Reproduktion großer Kapitale (der Monopole) weitaus gefährlicher sind, als die rein politisch vermittelte Präsenz der Arbeiterklasse in den Instituten des bürgerlichen Staats. Zweitens: auf der Ebene gesamtgesellschaftlicher Prozesse setzt sich die Absage an die Verwertung fort in der umfassenderen Tendenz, nicht nur die Mehrwertproduktion in Frage zu stellen, sondern auch das ihr zugrundeliegende Produktionszzie/: die Schaffung von Tauschwerten. Die radikale Umwälzung des Produktionsziels vom Tauschwert zum Gebrauchswert, oder, wenn man so will: der Aufstand des Gebrauchswerts gegen den Tauschwert, hat bisher noch nicht die reifen Formen und den Grad der Bewußtheit erlangt, der sich bei der unmittelbaren Konfrontation zwischen Arbeit und Verwertung feststellen läßt. Es tut sich aber genug, um Kapital und Staat zu alarmieren. Wenn auch auf der untersten, spontanen Stufe der Bewußtseinsbildung, gehören viele 33 konfliktuale Erscheinungen im Reproduktionsbereich: Häuserbesetzungen, Besetzung von Warenhäusern und Supermärkten, Forderungen nach Kinderstätten, Schulen, also nach den sozialen Diensten jenseits der Warenqualität, von Null-Punkt-Aktionen bis auf die - auf einer schon hohen Stufe der Bewußtheit - von den „Konsumenten” vorgenommenen Festsetzung der Waren und Güterpreise23 in den gleichen Negationszusammenhang, in dem in der Fabrik die ökonomische Zerstörung der Produktionsweise vorangetrieben wird. In diesem Zusammenhang verschwindet denn auch die nur theoretisch postulierte - in der abstrakten Analyse zuweilen sinnvolle, in der Praxis relativ belanglose - Scheidung von Produktionsbereich, in dem Mehrwert geschaffen wird und Reproduktionsbereich, wo Tauschwerte sich in Profite umsetzen. Fraglos lassen sich empirisch-soziologisch, innerhalb dieser einheitlichen Klassenfront, Differenzierungen, Spaltungen und immanente Konfliktsituationen ausfindig machen. Es kommen dabei Kriterien der Sozialforschung zur Geltung, die immer gegen den „Begriff” der Arbeiterklasse und den „Begriff” der Massen ins Feld geführt werden und die eindeutige Funktion haben, angesichts sozialer und politischer Krisen das fein strukturierte Gemüt der Bourgeoisie zu beruhigen. In der Tat: Mag der Klassenkampf noch so „toben”, mag die Produktion stok-ken und Bastionen des Imperialismus fallen: „wissenschaftlich” gesehen handelt es sich um geschichtliche Zufälle. Nun bieten solche Kriterien auch analytische Mittel zur genaueren Fassung der Klassenwirklichkeit vom Standpunkt der Arbeit (und nicht des Kapitals) aus und sind keineswegs lückenlos parteilich schon besetzt. Die Wirklichkeit als Totalität treffen sie jedoch nicht.24 Die Absage an die kapitalistische Produktionsweise, die in den letzten Jahren sich ausgebreitet hat, kennt keine Qualifi-kations- oder Einkommensschranken mehr.25 Angesichts dieser Situation, die zugleich Enthüllung des Wesens des Kapitalismus bedeutet und zur praktischen Kritik der politischen Ökonomie vom proletarischen Standpunkt aus führt, kommt das Kapital mit den gewöhnlichen Mitteln seines Staats nicht mehr aus. Die Notwendigkeit einer neuen institutionellen Strategie, die die Planung oder vielmehr die Planbarmachung solcher Vorgänge ermöglichen soll, gründet sich allerdings nicht machtpolitisch, sondern strikt ökonomisch. Sie wird durch die Transformation bedingt, die die kapitalistische Produktionsweise immanent erfahren hat und die das Kapital unter einen durch die wieder mit voller Geltung aufgetretene Weltmarktkonkurrenz unausweichlich gewordenen Planungszwang gestellt hat - wobei es praktisch völlig belanglos ist, ob sich die Planung der einzelen Kapitale erfolgreich durchsetzen kann. Im wesentlichen handelt es sich um zwei Grundbedingungen, die die Planung erzwingen und die genau den zwei Rebellionsmomenten zuwiderlaufen. Die zunehmende Konzentration und Zentralisation der Kapitale (bis hin zur Erscheinungsform der Monopolbildung) erfordert dringend eine stärkere Durchsetzbarkeit der Tauschwertorientierung gegen die Befriedigung von Massenbedürfnissen. Das Kapital, namentlich das Großkapital kann sich heute weniger denn je leisten, sich dem Druck von „Massenwünschen” zu beugen und seine Selbstverwertung sozialen Diensten, Aufgaben und Ausgaben zu opfern. Noch stärker, weil beide Momente treffend, wirkt sich jene immanente Veränderung aus, die sich in der Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals konkretisiert und nicht nur äußerlich den Absatz unnötiger Waren betrifft, sondern innerlich in die unmittelbare Produktion von Mehrwert einerseits, in die Entwicklung der Profitrate andererseits einschneidet. In diesem geschichtlichen Entwicklungsstadium des Kapitalismus wirkt sich die Rebellion nicht mehr nur störend aus und läßt sich daher naturwüchsig nicht mehr auffangen: durch die gewöhnlichen Mittel des liberaldemokratischen Staats. Sie bricht zerstörend in die Kapitalreproduktion ein, weil sie sowohl die Produktionsplanung für den Markt als auch deren Voraussetzung: die Kontinuität der Produktion und die Kontrolle über den kontinuierlichen Ablauf des Verwertungsprozesses über den Haufen wirft. 34 Sie wirkt tödlich: „Auf je größrer Stufenleiter sich ... das capital fixe entwickelt ..., um so mehr wird die Kontinuität des Produktionsprozesses oder der beständige Fluß der Reproduktion äußerlich zwingende Bedingungen der auf das Kapital begründeten Produktionsweise”. (Marx, Grundrisse 591) Die Forderung des Kapitals, eines Kapitals, das sich - wie oben dargestellt - nur um das Tauschverhältnis und um die Profitrealisierung kümmern kann, an den Staat bestimmt sich in der Perspektive der ihm drohenden Gefahr, der „planend”, das ist durch die Bereitstellung und Ausnutzung entsprechender Instrumente (vom Verfassungsorgan bis zu technologischen Subsystemen), entgegengewirkt werden soll. Es geht um den Versuch einer Neutralisierung und optimalen Eliminierung der Negation in den vielfältigen Bereichen, in denen sich Massenbedürfnisse politisch (das heißt: in der Machtfrage) artikulieren können und in dem spezifischen Bereich, in dem die Kontinuität des Produktionsflusses durch Arbeitsverweigerung und Insubordination einerseits unterbrochen wird; andererseits institutionell nicht geregelte Formen der Unterbrechung politisch die Kontrollierbarkeit und Planbarkeit einer Unterbrechung unmöglich machen. In der Umkehrung ergibt sich der gesellschaftliche Inhalt der staatlichen Planung: durch verstaatlichte Formen der politischen Artikulation die Rebellion in die Konstitutionalität, und das ist genau in die Akkumulationsfunktionalität zurückzuzwingen; durch rechtlich geregelte, der Planbarkeit zugängliche Formen der Austragung von Arbeitskonflikten den „beständigen Fluß der Reproduktion” zu sichern. Es ist nur ein greifbares Kennzeichen dieser, Ökonomie und Politik verschmelzenden Planversuche, dass sie zwar auch den Markt betreffen, aber den Markt nicht als Umlaufverhältnis konkurrierender Kapitale, sondern den Arbeitsmarkt als Umschlagstelle des Tauschverhältnisses von Arbeit und Kapital. Immer mehr muss also die Staatspolitik auf die Garantie des Produktionsflusses, auf die Kontrolle und Planbarkeit der Arbeitsunterbrechung und auf die Einkapselung der gebrauchswertorientierten Massenbedürfnisse zielen. Die Instrumente sind vielfältig (auch die Konservation des Bestehenden kann Phantasie entwickeln); die von den einzelnen Nationalgesellschaften gebotenen Beispiele der akkumulationsadäquaten Gesellschaftsplanung müßten einzeln analysiert werden - erstens für die Ausarbeitung einer emanzipationsadäquaten Praxis; zweitens für die genauere Bestimmung möglicher Widersprüche, deren Ausnutzung die Strategie des Kapitals schwächen könnte. Freilich gibt es auch scheinbare Widersprüche: nur in der Simulation, also rein spielerisch vorstellbare Möglichkeiten der Umkehrung (der „Umfunktionierung”) bürgerlicher Errungenschaften, die in Wirklichkeit einen klug durchdachten und erdachten Bestandteil der Neutralisierungspolitik bilden. Das klassisch zu nennende Beispiel bietet die Beteiligung von Arbeitervertretern an der „Bestimmung” über marginale Bedingungen der Produktion. Gerade die legalisierten und dadurch der Rechtskontrolle unterworfenen Formen der Mitbestimmung gehören zu den wirksamsten Mitteln der Planbarkeit, der kontrollierbaren Austragung von Konflikten im Produktionsbereich. Der Widerstand der Unternehmer gegen die Mitbestimmung in Westdeutschland offenbart ohnehin nur die taktische Klugheit des Kapitals. In Italien schielt der Industriellenverband (Confindustria) nach der westdeutschen Regelung. Gesellschaftsplanung kann sich vordergründig und im ideologischen Angebot (zum Beispiel in Wahlzeiten) als technischtechnologisch konzipierte Verbesserung der Lage der abhängigen Massen und als listiges Instrument des Fortschritts anbieten. Der „Planstaat” erscheint hier als Diener des Volks, seine Integrationspolitik als Fortschritt zur Humanisierung der Gesellschaft. Die parteipolitischen Unterschiede im Angebot erweisen sich als nur machtpolitisch wichtig, für den wirklichen Zustand der Massen (der „Konsumenten”masse und der Klasse der unmittelbaren Produzenten) als wesentlich belanglos, wenn auch marginal interessant. Gegen die Hebung der 35 Qualität des Lebens läßt sich nichts einwenden - wenn nur die Ursachen verschwinden, die die Qualität des Lebens zerstören. Die Vertreter des Kapitals und seines Staats sprechen eine weniger mystifizierte, dafür erfreulicherweise sinnvollere Sprache. Angesichts der ökonomischen Krise zeigen sie genau an, wo in Wirklichkeit das kritische Problem liegt: „Das heutige Problem ist nicht die Hebung der Lebensqualität in der Fabrik, sondern die Kontinuität des Lebens der Fabrik”26 - eben die Kontinuität des Flusses der Reproduktion. Damit meldet sich die Koppelung von Gesellschaftsplan und Krise an. Der doppelte, auf der gesellschaftlichen Ebene und in der unmittelbaren Produktion vorangetriebene Angriff gegen das Kapital und seinen Organisator macht erst die wirkliche Krise des Kapitalismus aus, die auch den regenerativen Charakter des Zyklus sprengt. Sie trifft nicht die bloße Verwertung, sie geht vielmehr weit über die ökonomisch auftretenden Verwertungsschwierigkeiten hinaus und sprengt den Kern der Produktionsweise: die durch Tauschwerte bestimmte Mehrwertproduktion und ihre gesicherte Weiterexistenz. Insofern kann man von einer Verschiebung der Krisenachse im heutigen Kapitalismus sprechen, deren Beachtung in den Mittel punkt langfristiger politisch-strategischer Überlegungen rücken muss. Gegenüber dieser konfliktualen Perspektive des Zusam menbruchs verlieren die bekannten, rein ökonomischen Über produktionserscheinungen nicht etwa an Bedeutung. Zyklen und Klassenkampf lassen sich nicht mechanisch trennen. Nur be deutet die Verschiebung, dass der Konkurrenzkampf der Kapi tale auf dem Weltmarkt nicht länger als Ursache einer endgülti gen Krisensituation zu sehen ist; und dass dem - entsprechend auf der Ebene planender Eingriffe des Staats nicht mehr der Versuch des ökonomischen Krisenmanagements und der Regulierung wirtschaftlicher Abläufe die wesentliche Verzahnung von politi scher Maßnahme und Kapitalerfordernis darstellt. Oben wurde schon die neue Seite des Staatseingriffs kurz erörtert. Die (alte) Frage der Staatsintervention in das Konkurrenzverhältnis (Krisenmanagement; versuchte Organisation der Kapitalverwertung; Maßnahmen, die sich letztlich gegen den tendenziellen Fall der Profitrate richten) und in den Verwertungsprozeß (Milderung der Disproportionalität und der Überproduktion durch staatliche Wirtschaftspolitik) wird für eine Funktionsanalyse des bürgerlichen Staats zwar nicht gegenstandslos, schon weil eine solche Krisenpolitik - zum Beispiel als Stabilitätspolitik ausgegeben - immer versucht wird. Sie rückt aber politisch in eine sekundäre Position. Die wirkliche Krise kann sich nach wie vor auch in der Zirkulation äußern, sie findet aber in produktionsspezifischen Konfliktsituationen statt. Die Kapitalreproduktion wird wesentlich (und das heißt: in der Perspektive eines tatsächlichen Zusammenbruchs) nicht durch akkumulationsimmanente Schwierigkeiten gefährdet, sondern im zunehmenden Maß durch Störung und Zerstörung der Mehrwert- und Tauschwertproduktion.27 Daher geht es -um es gedrängt zu sagen - bei den einzelnen Planmaßnahmen und Planungsformen des Staats um institutionelle Eingriffe, die Logik des Kapitals, die spezifische Rationalität der Mehrwertproduktion vor der Rebellion der Arbeit gegen die Verwertung und der Rebellion des Gebrauchswerts gegen den Tauschwert zu schützen. In dieser Lage verliert aber das Kapital seine Protagonistenrolle. Die Masse der Bevölkerung (die „Konsumenten”) und die unmittelbaren Produzenten werden zu Protagonisten: Das Klassenverhältnis bricht in die Kapitalbewegung ein und erweist sich als bestimmender Faktor. Die Nötigung, unter dem Zwang zur Produktionskontinuität die artikulierte Störung zu neutralisieren und auszuschalten, ergibt sich durchaus aus den immanenten Veränderungen der Produktionsweise. Denn sowohl das Wiederaufleben der offenen Klassenkämpfe in einigen kapitalistischen Ländern wie auch die höhere Bewußtheit der Massen entfalten sich nicht von irgendwoher, sondern genau entlang der hohen Stufe der Akkumulation.28 Wesentlich dabei ist aber, 36 dass die Klasse - sonst unter das Kapitalverhältnis subsumiert als bloße Arbeitskraft -sich nunmehr autonom macht, sich von den Akkumulationsbedingungen freikämpft und sich förmlich, wenn auch nicht (immer) mit Feuerwaffen, auf das Kapital einschießt. Gesellschaftsplanung in dem dargestellten, besonderen Sinn ist also weder eine Ideologie der Technokraten (auch wenn technologisch sich gebende Führungsgruppen daraus ihre Ideologie machen) noch eine Wunschvorstellung kapitalkonformer Systemtheoretiker. Fraglos können hinter den einzelnen Plangesetzen und staatlichen Maßnahmen besondere, von der jeweiligen Lage der kapitalistischen Gesellschaften bedingte, mit jeweiligen Kapitalgruppen verbundene Bewegungen und Verbände innerhalb der politischen Kräfte stehen. Das macht auch Gewicht und Rolle der verschiedenen parteipolitischen Fronten aus, die zu formell je verschiedenen Perspektiventscheidungen kommen können. Im Einzelfall treten beim gesellschaftspolitischen Lenkungsversuch beachtliche Unterschiede auf: etwa in der Regulierung des Arbeitsmarktes, bei der gesetzlichen Normierung der Arbeitskämpfe (obzwar gerade hier der Spielraum einer differenzierten Regelung eingeschränkt ist), bei der Verteilung vorhandener finanzieller Mittel. Hier, vor allem im Planungsstadium, können technische „Führer” ihren Tummelplatz finden. Wichtig ist aber, den Zwang zur Planung und deren Charakter begrifflich genauer, konkreter zu fassen, um dadurch - unter anderem - der Versuchung zu entgehen, die technokratisch sich gebende Wende in der Politik dezisionistisch einzuschätzen. In der Tat gehört es zur Ideologie und zur Verschleierungstendenz des heutigen Kapitalismus, Planungselemente, Krisenmanagement und Systematisierung kollektiver Vorgänge als nicht mehr kapitalistisch auszugeben, sondern als (positive) Folgeerscheinung des Machtantritts klassenenthobener, an Verwertungsinteressen nicht mehr gebundener und vom Kapital daher nicht mehr gesteuerter oder steuerbarer Führungsgruppen. Die generelle Planungsaufgabe des staatlichen Organisators erwächst vielmehr organisch aus der notwendig gewordenen Produktionsplanung der Einzelkapitale. Sie weitet diese gesamtgesellschaftlich aus in dem Maß, in dem für das Einzelkapital (für das reale Kapital also) es zur unumgänglichen Rahmenbedingung geworden ist, dass gesellschaftliche Bewegungen und Prozesse in institutionell geregelter Weise überschaubar, kontrollierbar gemacht werden und letzten Endes jedes Gewicht für die kurz- oder langfristige Weiterentwicklung der Mehrwertproduktion verlieren.29 Und das wird von den politischen Vertretern des Kapitals durchaus erkannt, auch wenn sie verständlicherweise der Wirklichkeit einen verschleiernden Namen geben und die Neutralisierung des Klassenkampfs ordnungspolitische Sicherheit nennen - ein Wort indessen, das die Beziehungen zu spezifischen Formen der Unterdrückung keineswegs leugnet. Kurt Biedenkopf meint, „dass es zu den unerläßlichen Rahmenbedingungen einer marktwirtschaftlich betriebenen Wirtschaftspolitik gehört, den Unternehmen wenigstens für die Zeiträume ihrer eigenen Planungszyklen eine ordnungspolitische Sicherheit zu gewähren, d. h. ihnen eine verläßliche Auskunft darüber zu geben, mit welchen Änderungen im Bereich der gesellschaftlichen, gesellschaftspolitischen Daten sie rechnen müssen. Niemand ist bereit,... das allgemeine politische Risiko mit in Kauf zu nehmen, dass sich die ordnungspolitischen Daten kurzfristig grundlegend ändern”.30 Bildet die Gesellschaftsplanung einen Bestandteil der institutionellen Strategie, die praktische Umsetzung in der spezifisch bürgerlichen Formbestimmtheit der Politik (rechtlichstaatliche und rechtsstaatliche Regelhaftigkeit, organisatorische Zusammenfassung gesellschaftlicher Kräfte, Ritualisierung von Konflikten) einer permanent gewordenen, präventiven Konterrevolution,31 so erscheint sie vordergründig als bloße Willkürmaßnahme zur Herrschaftssicherung. Sie ruft daher den Eindruck einer massenfeindlichen, nur vom Machtstreben der Bourgeoisie bestimmten Verschwörung hervor.32 Es wird zwar immer einen komplexen Zusammenhang von Absprachen, objektiven 37 Erfordernissen, informell vorgebrachten, aber manchmal auch sehr formell-institutionell weitergegebenen Wünschen geben. Ökonomie und Politik, konkret gesprochen die ökonomischen Herrschaftsgruppen (die Bourgeoisie) und die politischen Führungsgruppen zetteln keine förmliche Verschwörung gegen das Volk oder gegen die abhängigen Klassen an. Dennoch planen sie gemeinsam Maßnahmen und gesetzliche Regelungen und treffen ebenso gemeinsam die nötigen Anstalten - gewiß nicht „gegen das Volk”, sondern lediglich zu ihren eigenen Gunsten und zur Aufrechterhaltung der Kapitalreproduktion. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Produktionsantagonismus nicht nur auf dem Weg der öffentlichen Kommunikation verdeckt wird, sondern ebenso sehr institutionell ausgeschaltet werden soll durch bewußt herbeigeführte Verlagerung politischer Interessen auf Einkommens- und Verteilungsprobleme: die tendenzielle Verschleierung des Klassenkonflikts der Produktionssphäre durch die Pluralität sektorialer Konflikte in der Distributionssphäre.33 Hier können nur Mystiker glauben, die spezifische Umpolung von Klassenunterschieden, die zum Beispiel unter dem Namen des Pluralismus läuft, erfolge planlos und ohne Arg: bewußtlose Folge geistesgeschichtlicher Entwicklung (für die einen) oder der Kapitalbewegung (für die anderen). Die Neutralisierung der Massenartikulation und des unmittelbaren Produktionsverhältnisses stellt jedoch kein politisches Machtprogramm dar - weder der Bourgeoisie noch der Politiker, so sehr die erstere an ihrer Herrschaft (auch eine Rahmenbedingung der Akkumulation) festhalten will und die letzteren in menschlich überaus verständlicher Weise gerne Träger von Machtbefugnissen bleiben oder werden wollen. Nicht der Machtanspruch macht den Plan und die damit verbundene Veränderung im politischen System (die Transformation des Verfassungsstaats) erforderlich, sondern der Akkumulationsprozeß. Erst in dessen Folge stellt sich das Machtproblem. Wäre ungestörte Akkumulation auch bei einer Verschärfung der Klassenkämpfe möglich, würde sich die Bourgeoisie mit der Institutionalisierung der Konfliktsituation begnügen und sich keineswegs auf einen Machtkampf einlassen. Ihre Klassenherrschaft gründet sich ökonomisch und braucht die unmittelbare Beteiligung an der Staatsmacht nicht. In anderen geschichtlichen Situationen unternahm die Bourgeoisie nichts gegen die politische MachtStellung des Adels, sofern sich dieser der Kapitalentfaltung nicht in den Weg stellte und deren formelle Bedingung: die Regelhaftigkeit, oder den Rechtsstaat akzeptierte (Beispiel Preußen).34 Gewiß muss dies - ebenso nach der geschichtlichen Spezifizierung - relativiert werden. Soziologisch gesehen geraten einzelne Kapitalfraktionen oder - gruppen in der Frage der politischen Formbestimmtheit in Gegensatz zu anderen und streben auch andere Formen der Machtausübung an. Der Sachverhalt ist von der Faschismus-Diskussion her hinlänglich bekannt. Ebenso kann in soziologischer Sicht die Transformation der politischen Formbestimmtheit, also die besondere Macht- und Verfassungsstruktur des Staats sich aus dem Zusammenwirken besonderer gesellschaftlicher Interessen einerseits, verschieden orientierter Führungsgruppen andererseits ergeben. Solche Bündniselemente sind zuweilen für die institutionelle Regelung durchaus bedeutsam. Man denke an die nachfaschistischen Verfassungen, die in einzelnen Ländern (zum Beispiel Frankreich und Italien -weitaus weniger Westdeutschland) eine Kompromißlösung darstellten - der labilen Klassenlage, aber auch der Verunsicherung über den weiteren Verlauf der weltpolitischen Konflikte geschuldet. Oberflächlich im bornierten Wortsinn sind diese geschichtlich feststehenden Erscheinungsformen nicht. Als Ausdruck wirklicher Prozesse übernehmen sie den entsprechenden Wirklichkeitsgrad. Demgegenüber ist es aber anders, wenn - in der schon angedeuteten Veränderung des Verhältnisses von ökonomischer Basis und politischem Überbau - die soziologische Sicht und die ideologische Faktendarstellung nicht gerade beiseite geräumt, aber doch ihrerseits relativiert 38 werden. Der Staat als realer Organisator existiert weder neben und außer der Gesellschaft, noch kann er sich der materiellen Basis entheben. Alle Transformation des bürgerlichen Staats der Gegenwart: von faschistischehen Regimes über korporative Planungsstrukturen bis zur „Ordnungspolitik” und den Praktiken der „Sicherheitsüberprüfung”, von der Machtverschiebung innerhalb der Verfassungsorgane bis zur Verstaatlichung der Parteien und der Gewerkschaften, findet ihre Grundlage in der Koppelung und im Widerspruch von Akkumulationsstand auf der einen Seite (der Seite des Kapitals) und Grad der Klassenreife (auf der Seite der Arbeit, gesellschaftlich gesehen des Proletariats). Diese wesentlichen Faktoren, als autonome Wirklichkeit genommen, entziehen sich aber sowohl dem politischen „Machttrieb” wie einem politisch durchsetzbaren Profitund Überprofitstreben. Sie schaffen objektiv Widersprüche im Kapitalverhältnis, zu deren Auflösung der Staat mit seinen gesellschaftlichen Planmaßnahmen dazu tendieren muss, die gesellschaftliche Reproduktion zu verstaatlichen. Sofern der Staat sich durchsetzt in der Form von Staatsgesetzen, fällt diese spezifische Verstaatlichung gesellschaftlicher Beziehungen mit einer durchgängigen, tendenziell totalen Verrechtlichung zusammen. Die Verrechtlichung vollzieht sich freilich nicht in einem juristisch quantitativen Sinn: als bloße Inflation der Gesetzesmasse, als Überhandnehmen formaljuristischer Fixierungen. Es geht dabei vielmehr um die weitestgehend lückenlose Durchsetzung der sozialen Regelhaftigkeit mittels des Macht- und Gewaltmonopols und der Kontrollorgane des Staats. Sie findet auch bei Delegierung von Ordnungsbefugnissen, also von Kontroll- und Regulierungsmacht an gesellschaftliche Organisationen statt, da die Delegierung nicht naturwüchsig entsteht und gegen den Staat ohne dessen Sanktionierung wuchert, sondern rechtlich, verfassungsrechtlich und politisch geordnet und abgesichert wird. Es gehört genau zur Gesellschaftsplanung, sicherzustellen, dass die gesellschaftlich „autonom” getroffenen Vereinbarungen und stipulierten Abkommen (Tarifabkommen) sich keineswegs naturwüchsig oder entlang der Klassenkampfbewegung durchsetzen, sondern staatlich erzwingbar werden - etwa in der Form der arbeitsrechtlichen Verbindlichkeit und der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Verstaatlichung und Verrechtlichung bedeuten in erster Linie, dass alles Gesellschaftliche (Beziehungen, Kämpfe, Organisationsformen, Verhältnisse: Produktion und Reproduktion) sich in politisch überwachter, rechtlich-kontraktualer und nicht konfliktualer Form entwickelt. dass solche Verstaatlichungstendenzen eine irreversible Rückentwicklung politisch offener Systeme bildet, dass also die Überschneidung von der sich erhöhenden organischen Zusammensetzung des Kapitals mit der Aufkündigung des „sozialen Friedens” durch die Arbeiterklasse in der Produktion, der Negierung der Profitfinalität in der Zirkulation die kapitalistische Gesellschaft zum autoritären Staat zwingt, braucht nicht weiter erörtert zu werden.35 Ein systemimmanenter Widerstand kann diese Involution nicht umkehren, auch wenn er punktuell der Verteidigung von Rechtspositionen dient. Die Forderung, gesellschaftliche Prozesse zu planen, ergeht nicht speziell an die jeweiligen Regierungen, sondern an das politische System als ganzes.36 Es ist dabei gleichgültig, ob die „organisierten Kräfte” reformistisch oder konservativ sind. dass auch Parteien oder Fraktionen, die als linksreformistisch gelten, sich in die Zwangsfunktion einfinden, soziale Konflikte, namentlich zwischen Arbeit und Kapital „einzukapseln”, zeigen die „linken” Reformvorschläge zur englischen Gewerkschaftsgesetzgebung und Arbeitskampfverfassung (vgl. Leviathan, 4/74, S. 484 f.). Höchstens variiert die jeweilige ideologische Begründung und sicherlich auch die Schärfe, mit der die Verrechtlichung ausfällt. Und ins Gewicht fallen auch die Unterschiede in der Verteilung der Lasten und Planungskosten, auch wenn am Ende die Hauptlast immer vom Hauptopfer getragen wird. Auf das sich daraus ergebende, für die Erarbeitung strategischer Perspektiven wichtige Problem der Vor- und Nachteile reformistischer oder konservativer Regierungen kann hier ebensowenig eingegangen 39 werden wie auf die andere Frage, welche der beiden politischen Richtungen eher planungsfähig und planungswillig sei. Selbst das Kapital ist sich über diese Frage nicht im klaren. Sie ließe sich viel leichter lösen, bestünde sie wesentlich im ökonomischen. Vorhandene Ressourcen nach den allgemeinen Richtlinien programmierter oder programmierbarer Investitionen verwertungsorientiert und also akkumulationsfunktional einzusetzen, ist ein Geschäft, das vermutlich eine bourgeoise Partei besser besorgen kann als eine proletarische. muss aber der Konflikt im unmittelbaren Produktionsverhältnis erfolgreich formalisiert werden, sieht die Sache schon anders aus. Selbst bei der Disziplinierung der Klasse im Fall der Massenarbeitslosigkeit bleibt es problematisch, welche Regierung am besten für die Regierbarkeit des Lands geeignet ist. Denn auch in diesem Fall liegt das Planungsziel nicht in möglichen Arbeitsmarktverschiebungen oder in Maßnahmen einer normalen, bekanntlich schon längst als illusionär erkannten Sozialpolitik,37 sondern in vorweg ausgebildeten Kanalisierungsinstrumenten, die den politischen Druck der arbeitslosen Massen auffangen. Da nicht die Arbeitslosigkeit die Kapitalreproduktion gefährdet (vielmehr gehört sie zur „Gesundschrumpfung” und wird von Seiten des Kapitals periodisch gefördert), sondern der Umschlag des sozialökonomischen Zustands (unverkäufliche Arbeitskraft und entsprechende physische Reproduktionsschwierigkeit der Klasse) in die politische Aktion, werden auf der politischstaatlichen Seite gerade die Arbeiterparteien und -Organisationen planungszuständig. Das theoretische Problem der Gesellschaftsplanung liegt in einem anderen Bereich - in dem schon oben erwähnten des Realitätscharakters des Staats und seiner effektiven Fähigkeit, Planungsaufgaben zu übernehmen. dass so selbstverständlich die Möglichkeit und die Wirksamkeit staatlicher Regulierungen im Kapitalismus für eine marxistisch sich verstehende Analyse nicht ist, zeigt sich an der verunsicherten Diskussion der letzten Zeit. Defensive Marx-Repetition findet sich stets verpflichtet, sich gegen technologisch-technokratische Vorschläge, Simulationen und Untersuchungen zu wenden. Dabei werden nicht nur ökonomische und Gesellschaftsplanung verwechselt oder in eins gesetzt, die Abhängigkeit der letzteren von einer sich der Planung entziehenden Kapitalbewegung nicht als Schranke begriffen, sondern in den abgeleiteten Beweis der Nichtexistenz umgemünzt. Ebenso ungünstig wirkt sich die permanente Verwechslung aus, den objektiv gegebenen Zwang zur Planung als Zwang zum Planungserfolg zu betrachten - obwohl man völlig zu recht auf die Widersprüchlichkeit so genannter Sachzwänge hinweist. Zentral für die strikte Leugnung bewußt vorgenommener Lenkungen in der gesellschaftlichen Reproduktion durch den kapitalistischen Staat ist aber die Bedeutung, die dem Wertgesetz beigemessen wird. dass das Wertgesetz in der Kapitalbewegung sich hinter dem Rücken der Akteure und in der von ihm bewirkten Einheit von Produktion und Zirkulation „blind” durchsetzt; dass es in der Tat alle umfassende, über die Produktion der Einzelkapitale hinausgehende Programmierung und Lenkung der Zirkulation, alle ökonomisch gefasste Organisation des Kapitalismus über den Haufen wirft, haben die letzten Entwicklungen auf dem Weltmarkt hinlänglich und erneut bewiesen. Allein gerade diese konkret erfahrbare Wirksamkeit begründet den Planungszwang. Das Wertgesetz verwandelt sich nirgends zu einem mystischen Demiurg mit totaler Zuständigkeit, dem alles Geschehen - von der Wiege bis zur Bahre des Kapitalismus - aufgebürdet werden könnte, einschließlich der revolutionären Negation.38 Umgekehrt: Der Planungszwang ergibt sich aus der Möglichkeit, dass ein Faktor der Mehrwertproduktion sich dem Wertgesetz bewußt entzieht und es insofern außer Kraft setzt. Das kann gewiß nicht der Staat mit einer gezielten, programmierten Wirtschaftspolitik leisten. Selbst die, in der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus angedeutete, antirevisionistisch heftig kritisierte Änderung des Wertgesetzes durch die Garantie der 40 Extraprofite hebt dessen Wirksamkeit nicht auf, sondern verschiebt nur dessen Folgen und führt zu neuen Erscheinungsformen.39 Das Wertgesetz kann vielmehr nur von demjenigen Produktionsfaktor außer Kraft gesetzt werden, der es überhaupt erst in Kraft treten läßt - obgleich unter dem Zwang, sich als Arbeitskraft zu verkaufen. Marx betonte diese Seite (die Seite des subjektiven Faktors im revolutionären Prozeß) durchaus, auch wenn er in der verkürzten Formel von der Expropriation der Expropriateurs das Ende der kapitalistischen Produktionsweise als scheinbar deterministischmechanisch sich ergebende Folge der „immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst” erscheinen läßt (Kapital, 1, MEW 23, S. 790 f. Ebenda heißt es allerdings auch: Zu diesen Gesetzen gehört auch das Wachsen der Empörung der „durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse” - eine interessante Bemerkung, die bei der Behandlung der Organisations- und Parteifrage meist vergessen wird). In der abstrakt-ökonomischen Sicht gehören allerdings Wertgesetz und Staat getrennten Bereichen an; und staatliche Versuche zur Planung des Verhältnisses Arbeit-Kapital fielen in der Tat ins Wasser der Ideologie. In der gleichen, nur politisch verscho benen, von der Ortodoxie zum Revisionismus verkommenden Sicht aber zeigte sich die bewußte revolutionäre Bewegung, die politische Negation des Wertgesetzes als abgeleitet und relativ belanglos. Sie wäre im großen geschichtlichen Sinn buchstäb lich unnötig. Der Übergang zum Kommunismus, Ergebnis der „Verkehrsform selbst” und eines sich zur Negationsspitze selbst treibenden Gesetzes bedürfte der Arbeiterrebellion nicht. Sie würde sich förmlich ereignen und die revolutionäre Organisa tion des Proletariats entspräche als „bewußter” Träger eines bloßen Ereignisses der (meines Erinnerns von Max Weber so definierten) alten Sozialdemokratie: ein Verein, gebildet zur Herbeiführung einer ohnehin stattfindenden Mondfinsternis. Nicht, dass die vom Wertgesetz bestimmte, ökonomische Bewegung und die dadurch bedingten gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse widerspruchslos wären. Das Wertgesetz konkretisiert in sich den Widerspruch des Kapitalismus. Allein: In diesen Widerspruch muss erst die nicht zur Logik der Kapitalbewegung gehörende Logik der Revolution einrasten, um seine Sprengkraft zu entfalten. Das System der Mehrwertproduktion wird also zwar entlang seiner Widersprüchlichkeit, aber nur von seiner Negation überwunden: „der Klassenkampf als Schluß, worin sich die Bewegung und die Auflösung der ganzen Scheiße auflöst” (Marx, MEW 32, 75). Daher besteht kein Gegensatz zwischen dem Wirken des Wertgesetzes und dem Versuch einer Regelung gesellschaftlicher Prozesse durch den staatlichen Organisator, der sich gegen die „Auflösung der ganzen Scheiße” wenden und das Ausscheren des unmittelbaren Produzenten verhindern will. Derart kann von einem Zusammenhang zwischen blind wirkendem Wertgesetz und bewußter politischer Perspektivwahl und -entscheidung der Führungsgruppen gesprochen werden. Scheinbar paradox, gänzlich unorthodox und also genuin marxistisch zusammengefasst: Der Staat hat die Funktion, durch seinen Eingriff in die gesellschaftliche Repro- duktion und vor allem in das unmittelbare Produktionsverhält-nis das Wertgesetz entweder präventiv aufrechtzuerhalten oder - in revolutionären Situationen - wieder in Kraft zu setzen: Die Kontinuität der Mehrwertproduktion soll die Gesellschaft bestimmen, und nicht das rebellische Verhältnis des Arbeiters zur Verwertung noch die Ablösung der Tauschwertfunktionalität durch die Rationalität der Bedürfnisse. Das bedeutet allerdings, dass das vermittelte Interesse des Kapitals an seinem Staat eine Verlagerung erfährt. Bekanntlich hat der Staat seit jeher um der Akkumulation willen den Einzelkapitalen Bedingungen und teilweise Beschränkungen der Selbstverwertung aufgenötigt. Im heutigen Akkumulationsstadium kommt noch eine neue Zwangslage des Kapitals und zugleich eine Veränderung in dem politischen Bewußtsein der Kapitalisten hinzu: bestimmte Opfer ohne weitere Korruptionsund Umpolungsversuche (Abwälzung auf jeweils andere Kapitalisten) auf sich zu nehmen, 41 um die eigene Weiterexistenz zu sichern - es versteht sich aber dabei von selbst: immer unter der Voraussetzung der Funktionstreue des Staats und der Politik gegenüber der Akkumulation. Aber in der entsprechenden Veränderung gilt für den Kapitalisten das gleiche Prinzip, das sich negativ für den Arbeiter auswirkt. Nicht die Qualität des Lebens in der Fabrik, sondern das Leben der Fabrik ist entscheidend; nicht die Quantität des Profits, sondern das Leben des Profits. Das vermittelte Interesse geht hier beträchtlich über die naturwüchsige Interessiertheit an der Profitmaximie-rung hinaus und zielt eindeutig - koste es, was es wolle, wenn nur die Kosten in den Grenzen der Akkumulation bleiben -auf den Schutz des Gesamtorganisators: auf die Verteidigung des ganzen Staats. Bildet die Kontinuität der Produktion bei einem hohen Entwicklungsgrad des Kapitals die Grundbedingung seiner Reproduktion, so fällt sie mit der Kontinuität der „Regierbarkeit” und der Kontrolle und mit der tendenziellen Kontinuierlichkeit der gesellschaftlichen Lenkung als der politischen Garantie der Produktion zusammen. Die Priorität der Gesellschaftsplanung gegenüber der ökonomischen bestätigt auf diese Weise die politische Verschiebung, die im Verhältnis StaatKapital stattgefunden hat: rein äußerlich eine „Autonomisierung” der Politik und die Bildung staatseigener Kompetenzen, deren Träger sozusagen partnerschaftlich mit den Trägern des Kapitals (mit den Monopolherren) in eine Allianzverbindung treten; in Wirklichkeit nur die Verlötung zwischen Funktionalität des Staats und funktionierenden Akkumulationsbedingungen. Der Staat wird in das Kapitalverhältnis hereingeholt. Auf der Ebene der oberflächlichen ideologischen Repression oppositioneller Bewegungen drückt sich diese spezifische VerSchmelzung in der Identifikation von freiheitlich-demokratischer Ordnung und sozialer Marktwirtschaft aus. Auf der Ebene der wirklichen Verhältnisse, in denen oppositionelle Bewegungen für das Kapital entweder nicht existent sind oder nicht existent gemacht werden sollen, besteht die Verschmelzung in der Nötigung, Profitinteressen der Einzelkapitale in den Dienst der Aufrechterhaltung des Staats zu stellen. Gerät der Kapitalismus in Schwierigkeit, so richtet sich ein „Krisenprogramm in erster Linie auf die Garantie der Staatskontinuität auch auf Kosten eines temporären ökonomischen Rückflusses” (Guido Carli). Es braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, dass Staatskontinuität nichts Weiteres bedeutet als Weiterexistenz und Funktionsfähigkeit des organisatorischen Machtapparats - der anderen Seite des „Lebens der Fabrik”.40 ***
Mit der Gesellschaftsplanung gehen unlösbare Widersprüche einher, die deren Schranken bestimmen. Sie bedürften einer eingehenden Analyse, die hier (noch) nicht geleistet werden kann. Eine Schwierigkeit muss aber behandelt werden, die teils lediglich mit der Finanzierungsfrage eines Plans zusammenhängt (denn zu seiner Verwirklichung gehören auch kostspielige Reformen), teils über den Umweg der Finanzierungsfrage zum Problem der ökonomischen Eigenrealität des bürgerlichen Staats zurückführt. Das Problem findet seine theoretische Ak-tualität und - was wichtiger ist - seine strategische Bedeutung in der bekannten Diskussion, ob der Staat als Gesamtverband nicht nur als „ideeller”, sondern auch als „reeller” Gesamtkapitalist fungiere. Formell kann die allgemeine Aufgabe des planenden Staats als „Befriedungspolitik” bezeichnet werden. Sie kennt zwei Seiten, die sich gegenseitig ergänzen. Einmal geht es negativ um die planmäßig betriebene, ideologische wie polizeiliche Einschränkung der sozialen Wirksamkeit emanzipatorischer Bewegungen. Nicht zufällig begann schon der erste, im großen Maßstab unternommene Versuch einer totalen Verrechtlichung und Verplanung: der italienische faschistische Korporativismus, mit einem Gesetz zur Entfernung „unzuverlässiger” Beamter, vor allem Lehrer aus 42 dem öffentlichen Dienst.41 Dies tangiert jedoch die Kostenfrage, also die Frage nach der ökonomischen Staatspotenz nicht unmittelbar. Anders ist es mit der anderen Seite der institutionellen Strategie bestellt. Will diese über die bloße Unterdrückung sozial wirksamer Andersdenkender hinaus mit der Herstellung oder Sicherung des „sozialen Friedens” die unumgängliche Bedingung für die Kontrollierbarkeit und Planbarkeit des Klassenverhältnisses und des Klassenverhaltens erreichen, so muss sie über eine ökonomisch kalkulierbare finanzielle Basis verfügen: über relativ stabile Fonds, die frei vom Verwertungsinteresse der Einzelkapitale sind und daher dem Staat einen freien Entscheidungsraum gewähren. Hier stößt man aber auf eine beachtliche Schwierigkeit. Die Stabilität der verfügbaren Fonds läßt sich gesetzlich nicht herbeiführen. Sie hängt mit Sachverhalten zusammen, die sich dem organisierenden Eingriff des Staats entziehen. Binnenwirtschaftlich setzt sie eine schon erreichte, schon gesicherte stabile Konjunkturlage voraus und damit eine schon vorhandene gesellschaftliche Beruhigung zumindest innerhalb der Kapitalreproduktion selbst. Hinzu kommt noch die ökonomische Bewegung auf dem Weltmarkt, die sich sowohl der Kontrolle wie auch der Entscheidungsbefugnis nationalstaatlicher und am nationalen Kapital festgemachten Regierungen entzieht. Paradoxerweise müßte also das Ziel des sozialen Friedens schon erreicht werden, um den sozialen Frieden wirklich herzustellen. Verbinden sich - mit anderen Worten - ökonomische und soziale Krise, oder ist diese der ersteren vorgelagert, scheitert die institutionelle Strategie schon an der Unmöglichkeit eines solchen, im voraus gesicherten Zustands. Offensichtlich kann dem nur in präventiver Form vorgebeugt werden - und insofern läuft jede wirksame Strategie als Plan des bürgerlichen Staats oder vielmehr als Folge einer objektiven Zwangslage der kapitalistischen Reproduktion auf die schon erwähnte präventive Konterrevolution hinaus, deren Permanenz sich aus der Permanenz der potentiellen Aufkündigung der Mehrwert- und Tauschwertproduktion (gleich Revolution) ergibt. Und dazu reicht die Finanzdecke nicht immer aus. Eine andere, ebenso mit der Finanzdecke oder der ökonomischen Basis gegebene Schwierigkeit liegt in dem bloßen Vermittlungscharakter des Staats als „Gesamtkapitalisten”. Ebenso wie die Stabilität der ihm zur Verfügung stehenden Fonds (die langfristig planbare Kontinuität und Steigerung des Steueraufkommens) wird ihre Quantität (die Geldmenge) nicht von ihm, sondern von der Akkumulation der realen Einzelkapitale bestimmt. Um eine wirklich autonome Planung der Gesellschaft vornehmen zu können, die auch keinerlei Rücksichten auf die Erfordernisse einzelner Unternehmen und Industrien nimmt, müßte der Staat entweder alles Kapital an sich reißen;42 oder aber über ein eigenes produktives Kapital und über dessen realisierten Mehrwert verfügen können. Er müßte also nicht nur als Vermittlungskategorie gesamtkapitalistisch fungieren, sondern selbst realer Kapitalist werden. Indessen fände sich gerade in diesem Verhältnis der wesentliche Widerspruch des bürgerlichen Staats: als realer Kapitalist nach realen Profitinteressen zu handeln; als realer Organisator gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Beide Positionen stoßen sich gegenseitig ab. Der reale Kapitalist (keine abstrakte Größe, sondern die einzeln existente gesellschaftliche Qualität des Kapitals) tendiert dazu, die allgemeinen Verkehrsformen als Mittel unter die Verwertung zu subsumieren. Der reale Organisator hingegen muss die allgemeine Verkehrsform als Grundbedingung der Reproduktion jenseits einzelner Verwertungsinteressen und -zwänge am Leben erhalten. Eine doktrinäre Lösung dieses Widerspruchs bietet die Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus, die durch die Interessen- und Machtidentifikation zweier sozialer Gruppierungen (Staatsapparat und Monopolherren) die dialektische Spannung eliminiert und der Staat als „Staat der Monopole” auf dem Vermittlungsweg des Bündnisses mit dem Gesamt(groß)kapital zusammenfließen 43 läßt. In der Tat gibt es ein Auseinanderfallen von Verwertungszwang und Garantie der allgemeinen Verkehrsform, also vom Kapitalinteresse und Staatsinteresse nicht, wenn sie sich beide als gesamtgesellschaftliches Interesse der alles subsumierenden Monopole vermitteln und als Einheit von politischen und ökonomischen Führungsgruppen verwirklichen lassen. Die Beziehung zwischen Staat und Kapital entwickelt sich in dieser Perspektive als mechanisch-totale Indienstnahme des ersteren durch eine besondere Gruppe des letzteren - eine Weiterführung der berühmten Kuusinenschen Faschismusdefinition.43 Irreal ist die Perspektive nicht, wenn sie ihre eigene Voraussetzung verleugnet und dem Staat sozusagen die Chance einräumt, aus den eigenen, ihm als realem Kapitalisten zufließenden Gewinnen seine Politik zu finanzieren, seine Reproduktionsausgaben zu bestreiten. Die strategische Folge der Theorie ergäbe dann einen einsehbaren Sinn. Die Machtergreifung auf parlamentarischem Weg brächte mit dem Eintritt in das Schaltbüro der Macht zwar nicht die Arbeiterklasse zur Herrschaft, aber zumindest ihrer substitutiven Partei die politische Verfügung über die Wertmasse der gesamtgesellschaftlichen Produktion sowie über ihre Reinvestierung - bekanntlich die einzig konkrete Form der Investitionskontrolle. Nur stimmt die Strategie erst wenn der Staat zu einem solchen realen Kapitalwesen gemacht wird. Die historisch sich bietende, einzige wirkliche Alternative ist denkbar nur, wenn der Staat selbst Gesamtmonopolist wird: die Form der Übergangsgesellschaft, von der auch Engels gesprochen hatte, die sich schon jenseits der bloß juristischen Form des Kapitals als Privateigentum entwickelt, aber immer noch innerhalb der ökonomischen Weise der Mehrwertproduktion. Der Übergangscharakter einer solchen Gesellschaft äußert sich in der Verfügbarkeit der Wertmasse für die staatliche Planung, so dass immerhin soziale Ausgaben („soziale Dienste”) im großen Maßstab und ohne Rücksicht auf Verwertungsinteressen programmiert und verwirklicht werden können.44 Freilich gibt es auch in der Wirklichkeit einen „Gesamtkapitalisten”. Die einzig theoretisch ableitbare Realität des Gesamtkapitalisten fällt jedoch durchweg mit der einzig empirisch feststellbaren zusammen. Und diese liegt nicht in der organisatorischen Vermittlung des Staats (dessen Realität auf der Ebene der allgemeinen Reproduktion sich findet und nicht der Mehrwertproduktion - mit einer unter noch zu entwickelnden Einschränkung);* sondern in der ökonomischen Vermittlung der Einzelkapitale untereinander über die Zirkulation (durchschnittliche Profitrate, Konkurrenz, Konzentration und Zentralisation - bis zum Weltmarkt). Deshalb läßt sich die Widersprüchlichkeit der finanziellen Sicherung eines Gesellschaftsplans nicht lösen. Von der Form her stehen dem Staat die (Macht)mittel zur Verfügung, die Kosten auf die Profite zu wälzen. Das Haupthindernis findet sich aber auf der materiellen Seite. Nicht nur hört die kapitalistische Produktionsweise auf, wenn jenseits regenerierender Zyklen die Profitrate tendenziell auf Null herabgedrückt wird und die Akkumulation aufhört. Wird Gesellschaftsplanung ohne Rücksicht auf die Akkumulation durchgeführt, so verstößt dies offensichtlich gegen die eigene Zielsetzung. Statt radikale Absagen und revolutionäre Umtriebe präventiv zu verhindern, schafft man auf eine solche, akkumulationswidrige Weise deren objektive Voraussetzungen. Der Plan verkehrt sich in sein Gegenteil. Ein Ausweg aus dieser Aporie (der Grundaporie aller Staatspolitik) läßt sich mit normalen Mitteln kaum finden. Die gleiche Wertmasse muss nun sowohl die Akkumulation wie die gesellschaftliche Reproduktion (und ihre Planung) gleichzeitig speisen, so dass die eine nur als Einengung der anderen sich durchsetzt. Das „Sozialprodukt” ist bekanntlich keine beliebig, jenseits der Wertproduktion vermehrbare, bloß monetäre Größe, sondern ein Produktionsquantum. Das wußte schon Mephisto, als er durch den Vorschlag der beliebig hohen Geldemmission sich 44 anschickte, die Wirtschaft (in den ersten Stadien der kapitalistischen Entwicklung) der totalen Inflation und somit seinem obersten Höllenherrn zuzuführen (vgl. Goethes Faust). Der wirkliche Widerspruch zeigt sich allerdings auf einer anderen Ebene, auf der die Realität des Organisators sich in die Irrealität (und nicht nur Idealität) des Gesamtkapitalisten konkret umkehrt. Üblicherweise wird dies an der Unfähigkeit des Staats festgemacht, erfolgreich und krisensteuernd in den ökonomischen Prozeß einzugreifen. In Wirklichkeit offenbart sich die Irrealität einer, aus dem unmittelbaren Kapitalverhältnis nur scheinbar entlassenen, weil nicht als Privatperson oder als Privatgruppe auftretenden, staatlich-ökonomischen Potenz genau dort, wo der Staat vielmehr selbst real als Kapitalist bestätigt: selbst produziert, als Unternehmer auf dem Markt auftritt, vorgeschossenes Geld und aufgekaufte Arbeitskraft verwertet. Dies ist eine Wirklichkeit, die erst voll einsichtig gemacht werden muss. Erstaunlicherweise sperren sich sowohl marxistische Traditionalisten (die sogenannten Revisionisten) wie die antirevisionistische Orthodoxie gegen die Tatsache, dass auch der Staat profitabel investiert und zu investieren versucht, Arbeitskraft im strengen Sinn ausbeutet und also Mehrwert produziert.45 Dabei braucht diese Tatsache gar nicht minimiert zu werden aus der dogmatischen Befürchtung, es könnten sich so etwas wie Einbruchsteilen in die allgemeine Auffasssung vom heteronomen Charakter des Staats bilden. Eher führt sie einen viel härteren Nachweis für die Unmöglichkeit eines realen, und nicht bloß als politische Vermittlung existenten staatlichen Gesamtkapitalisten. Dem Problem kommt man allerdings nicht näher, bleibt man - als Ausweg aus der unbewältigten Tatsache -bei der bekannten Ansicht, Verstaatlichung der Produktion und Auftreten des Staats als Unternehmer komme nur als „Verstaatlichung des Verlustes” vor - ein Vorkommnis, das sich in die vergebliche Funktion lückenlos einfügt, im wesentlichen nur für die Erhöhung der Profite rentabel produzierender Monopole zu sorgen. Mag auch das eine wie das andere stattfinden: Wesentlicher ist, dass der Staat in eigener Funktion als Profitmacher auftritt. Weder die Renault- noch die Alfawerke „sozialisieren” Verluste (da sie vielmehr mit Gewinn arbeiten wollen), noch dienen sie der Bildung von Extraprofiten anderer Autokonzerne. Gewiß ließe sich heuristisch-kunstvoll selbst aus dem staatlichen Gewinnstreben eine im Dienst privater Monopole stehende Funktionalität staatlicher Produktionsbetriebe ableiten. Die Ableitung würde indes die Tatsache des staatlichen Profitmachers nicht abschaffen. Dadurch geht ökonomisch eine Veränderung des Staats vor sich, aus der sich auch politische Folgen ergeben. Gerade im Hinblick auf die Gesellschaftsplanung erweist sich das neue Verhältnis als wesentlich, da aus der eigenen ökonomischen (Produzen-ten)tätigkeit dem Staat vordergründig eine Potenzierung der Autonomie gegenüber privaten Kapitalinteressen zu erwachsen scheint. Und mit der Potenzierung scheint auch die Möglichkeit einer Planung sich zu verbinden, die - wie dies von den Führern der KPI häufig hervorgehoben wird - sich sowohl ökonomisch wie auch sozial nicht mehr am Verwertungszwang orientiert, sondern an der Bedürfnisbefriedigung: die „demokratische Programmierung”. Die Veränderung hängt notwendiger Weise mit dem „Wesen” des Kapitalismus zusammen, an dessen Totalität der gute politische Wille eines alternativen Gebrauchs der Staatsunternehmungen zerbricht. Diese Totalität (das durchgängige Verwertungsgebot) führt die autonom-unternehmerische Tätigkeit des Staats in die Grenzen der Akkumulation zurück. Die Verselbständigung an der ökonomischen Basis verkürzt sich zur bloßen Umpolung vom Einzelkapitalisten als existierender Charaktermaske zum Kapitalisten „Staat”, der als konkrete Existenz wieder den Charakter der Maske übernimmt: Anstelle des privaten Fabrikherrn und neben ihn tritt kein jenseits kapitalistischer Ausbeutungs- und Befehlsstrukturen tätiges, gemeinwirtschaftliches „Wesen”, sondern der staatliche Fabrikherr. Zum „padrone privato” tritt der „padrone di Stato” hinzu, der als solcher nicht im geringsten daran denkt, anderer Leute Profite zu 45 sichern oder gar Extraprofite zu genehmigen, sondern selbst an die eigenen Profite und Extraprofite denkt. Ebenso wenig kann der Staat sein eigenes Kapital, seine Wirtschaftsunternehmungen als Mittel der Krisensteuerung einsetzen. Die Krise trifft auch die verstaatlichten Sektoren der Produktion - ebenso wie die soziale Krise und die politische Absage der Klasse keinen Halt vor den Toren der Staatsbetriebe macht. Derart bestätigt sich gerade in den Sektoren, in denen der Staat selbständige ökonomische Tätigkeiten entfaltet, nicht die Unabhängigkeit der Politik, sondern die Vorherrschaft (und die Totalität) des Kapitalverhältnisses. Dies kommt vor allem in den Industriezweigen deutlich ans Licht, die in handgreiflicher Weise in der Marktkonkurrenz stehen, zum Beispiel in der Automobilindustrie. Nicht nur, dass die Organisation der Arbeit in den verstaatlichten Autofabriken strikt an der Mehrwertproduktion orientiert ist und keinerlei Möglichkeiten der Übernahme gesellschaftlicher Reproduktionskosten eröffnet und in der Folge weder eine Einsetzbarkeit für Gesellschaftsplanung im demokratischen Sinn (Demokratisierung der Produktion) noch Gebrauchswertproduktion zuläßt. Überdies kann der Staat als Produzent seine Produkte nicht einmal antizyklisch-deflatorisch ein- und absetzen. Nur ein „politischer Autopreis” (von Alfa, oder früher vom VW) könnte eine „andere” Qualität verstaatlichter Betriebe entwickeln und insofern auch den Weg zu einem evolutionären Übergang in den Kommunismus „durch die Verkehrsform selbst” (hier durch allmähliche Ausweitung verstaatlichter Sektoren) öffnen. Doch verlassen in Mailand genau so wie in Wolfsburg nur Tauschwerte die Montagehallen. In der offensichtlichen Nötigung zu einem so genannten marktkonformen Verhalten, unter der das verstaatlichte Kapital in kapitalistischen Ländern steht, kommt das Gesetz zum Ausdruck, dass sich der Staat als „Unternehmer” keinen Ersatzmarkt schaffen und keine mehrwertenthobene Produktion leisten kann - dass also (horribile dictu, bürgerlich-wissenschaftlich gesehen) selbst bei der ökonomischen Tätigkeit des Staats das Wertgesetz sich durchsetzt. Insofern tritt die besondere Realität des „Kapitalisten” auch beim Staat voll auf. Nur geht ihm dabei genau die allgemeine Realität eines nicht nur theoretisch postulierten („ideeller Gesamtkapitalist”), sondern auch tatsächlich fungierenden Gesamtkapitalisten verloren.46 Deutlich wird dieser Verlust (ein Existenz- und kein bloßer Funktionsverlust), wenn man sich den prozessualen Verlauf der personifizierten Existenz des Kapitals verdeutlicht. Der reale Einzelkapitalist finanziert aus dem realisierten Mehrwert die Reproduktion sowohl des eingesetzten Kapitals - des konstanten wie des variablen , wie auch der eigenen Person, also seine gesamte und von ihm aus gesehen gesamtgesellschaftliche Eigenreproduktion: von der Erneuerung des Maschinenparks, über den Ankauf von Rohstoffen, den Aufkauf wertschaffender Arbeitskraft bis zu den toten und Transportkosten und zur eigenen physischen Existenz einschließlich Versorgung der Familie und Vorsorge einer etwaigen statusbedingten Geliebten, falls er ein Mann ist; der Familie und eines statusbedingten Begleiters, falls er eine Frau ist. Der Staat wäre analog dazu nur dann ein realer Gesamtkapitalist, wenn er aus der Realisierung des in den staatseigenen Betrieben geschaffenen Mehrwerts sowohl die Akkumulation des investierten Kapitals wie sämtliche gesellschaftliche Reproduktionskosten herauswirtschaften könnte. Die Ironie dabei wäre, dass ein derart real erfolgreicher Staat am Ende sich genötigt sieht, aus dem erzielten Gewinn auch die Ausgaben für diejenigen Rahmenbedingungen zu decken, die allen Einzelkapitalen zugute kommen, und somit mit dem eigenen Gewinn den Erfolg der eigenen Marktkonkurrenten zu finanzieren.47 Vielmehr und umgekehrt sieht sich der Staat genötigt, sich selbst gegenüber als abhängiger Organisator zu betätigen und die Kosten für die Rahmenbedingungen der eigenen Kapitalistenrealität aus dem Steueraufkommen zu dek-ken. 46 Exemplarisch: Die Straßen-, Kanal- und Zugverbindungen von und nach Wolfsburg, von und nach AlfaSud sind nicht mit VW- oder Alfagewinnen gebaut worden. Das will heißen: Er kann durchaus realer Kapitalist sein, aber nur als Unternehmer neben anderen. Als solcher verliert er die allgemeine Qualität, vermittelnde Zusammenfassung aller Kapitale und gesellschaftlich die zusammenfassende Form aller Klassen und Individuen zu sein. Er tritt voll in die Sphäre der Konkurrenz ein und kann sich von der eigenen ökonomischen Realität her nicht mehr als Regulator des Kapitalverhältnisses betätigen. Der wirkliche Widerspruch liegt also nicht darin, dass der Staat, ohne Mehrwertproduzent zu sein, angeblich in die Rolle eines realen Gesamtkapitalisten einschlüpft. Handelt er als Kapital, so streift er seine „öffentlichkeit” ab: Wird der Staat zum realen Kapitalisten, so ist er kein Organisator mehr - kein Staat. Das gilt erst recht für die Sphäre der unmittelbaren Produktion selbst. In staatlichen Betrieben der kapitalistischen Gesellschaft findet keine gesellschaftliche Aneignung der Produkte vergesellschafteter Arbeit statt. Wird der Form nach das Privateigentum als juristische Größe auch von einer anderen juristischen Eigentumsform (der „öffentlichen Hand”) abgelöst, so überspringt diese Ablösung die Grenze spezifisch kapitalistischer Aneignung nicht: Unmittelbarer Produzent und Produkt bleiben getrennt; die Beziehung zwischen Arbeiter und Unternehmer bleibt im Rahmen des Tauschverhältnisses; der Staat wirft die Produkte als Tauschwerte zwecks Akkumulation auf den Markt.48 Aus diesem Grunde erfährt auch die stoffliche Voraussetzung der Mehrwertproduktion in staatlichen Betrieben keine Änderung: die Organisation der Arbeit, da kapitalistisch, erhärtet die Abhängigkeit des unmittelbaren Produzenten in der Fabrik und die untergeordnete Stellung des Arbeiters in der Klassengesellschaft. Anders gesagt: Die „reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital” bleibt im vollen Umfang erhalten, es wird nach wie vor „im Gegensatz zu, und unbekümmert um, den Produzenten” ausgebeutet. Das Fehlen der gesellschaftlichen Aneignung führt auch in solchen Betrieben dazu, „dass die Stufenleiter der Produktion nicht nach gegebenen Bedürfnissen, sondern umgekehrt die Masse des Produkts durch die durch die Produktionsweise selbst vorgeschriebene und stets wachsende Stufenleiter der Produktion bestimmt wird” (Marx, Resultate, S. 63). Das besagt sicherlich nichts über mögliche, taktisch-strategische Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit partieller Verstaatlichungsmaßnahmen, etwa im kommunalen Bereich. Aber die politische Illusion und die strategische Globalhoffnung müssen ausgeräumt werden, Verstaatlichung im Kapitalismus (wahrscheinlich „Verstaatlichung” überhaupt) ändere fundamental die Produktionsweise und damit auch die Klassenlage der Arbeiter einerseits, den Waren- und Tauschwertcharakter der produzierten Güter andererseits. Statt dessen stellt sich eher eine bedenkliche Seite ein, die mit dem politisch-ideologischen, allgemeinen Charakter des Staats zusammenhängt und die zur Vortäuschung einer der Allgemeinheit verpflichteten Eigenschaft des Betriebs führen kann und die Möglichkeit einer einheitlichen Kampffront bei Lohn- und gesellschaftspolitischen Konflikten beschneidet. Eine solche Gefahr tritt dennoch nur bei einem niedrigen Stand der Klassenreife und der politischen Bewußtheit ein. Wer seine Arbeitskraft verkaufen muss, kommt schnell dahinter, dass der Kapitaleigner gesellschaftlich unsichtbar bleiben oder sich eine „öffentliche” Vertretungsmaske anlegen kann. Hier stößt der bürgerliche Staat auf eine zweite, weitaus entscheidendere Schranke seiner Lenkungsmöglichkeiten. Die erste findet sich - wie bereits gesehen - in dem Widerspruch zwischen Akkumulationserfordernis und Planungskosten. Sie bedingt übrigens auch die strukturelle Unmöglickeit und das Scheitern einer jeden „systemverändernden” Reformpolitik, da die Mittel, die dafür aufgebracht werden müssen, in dem Grad zunehmen, in dem sich die Klassenabsage verschärft und also - entlang der neuen Krisenachse - 47 die Mehrwertproduktion sich reduziert. Das heißt aber, dass der planende Staat immer komplexere und teurere Auffangmechanismen und tech-nisch-manipulative Subsysteme schaffen muss, je geringer und langfristig unkontrollierbarer, nicht planbarer die zur Verfügung stehenden Fonds sind. Ein lehrreiches geschichtliches Beispiel bietet Giolittis Reformversuch im vorfaschistischen Italien: Die hohen Integrationskosten (politische Warenpreise und politische Löhne) zwangen ökonomisch das norditalienische Kapital zu einem politischen Kurswechsel. Es sei daran erinnert, dass sich in solchen Kosten etwas Konkreteres verbirgt als die bloße Sozialausgabe im staatlichen Etat. In ihnen schlägt sich für das Kapital die Verbindung von Akkumulationsstand und Klassenreife „geschäftlich” (in der Form der Abzweigung von Geldern aus der reinvestierbaren Wertmasse) nieder. Jenseits der Ökonomie aber zerbricht die präventive Politik erst an der Schranke des Klassenwiderstands gegen jede Form der Institutionalisierung des Klassenkonflikts und dessen staatlicher Repräsentationsform und gegen die rechtliche Ritualisierung des gesellschaftlichen Antagonismus - wie sie im transformierten Verfassungsstaat der kapitalistischen Gegenwart inzwischen zur allgemeinen, irreversiblen Tendenz geworden ist. Auch hier stellt sich ein Reaktionszusammenhang ein. Je konkreter die Artikulationsmöglichkeit der Massenbedürfnisse und der gesellschaftlichen Negation ist, um so dringender versucht die Bourgeoisie, ihren Staat zu reformieren in Richtung auf eine transformierte „Demokratie”. Daraus ergibt sich aber, dass die von vielen emanzipatorisch gerichteten Kräften und Gruppen erhoffte, zuweilen schlicht erträumte Verfügbarkeit des bürgerlichen Staats für die Überwindung von Ausbeutung und Herrschaft und die mit dieser Hoffnung verbundene Strategie (die doppelte wie die einfache) in eine theoretische Dimension gerückt wird, die sowohl ihre Substanzlosigkeit zeigt wie auch neue Wege der revolutionären Praxis erkennen läßt.49 Wenn dies verstanden wird, kann die Ebene der bloß moralisch-agitatorischen Argumentation verlassen werden, die auf die Gültigkeit von Normen, Ideen und Traditionen (auch des Kampfes) pocht. Es wird dann möglich, Prozesse der radikalen Veränderung und der Befreiung nicht mehr als Folge der Tätigkeit freier, offener oder geheimer, dezisionistisch gerichteter Gruppen aufzufassen und also zu meinen: es genüge, alte, konservative oder reaktionäre politische Führungsgruppen abzulösen, um die richtige Richtung sich dann abwickeln zu lassen.81 Gegen solche naive Politik funktionieren die Machtmechanismen des bürgerlichen Staats seit jeher mit erstaunlicher Präzision, bezeichnenderweise auch wenn sie in oberflächliche, zeitweilige Formschwierigkeiten geraten. Nur wenn sich der Logik der institutionellen Strategie die Logik des Klassenkampfs entgegenstellt und diese die ihren emanzipatorischen Inhalt genau verwirklichende organisatorische Form gefunden hat, halten das Kapital und sein Staat die neue Wirklichkeit nicht mehr aus.

Anmerkungen
1. Es ist unbestritten, dass Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie sich nur beiläufig mit dem Staat befasst hat - an den wenigen Stellen allerdings nicht gerade in der Perspektive einer Belanglosigkeit des Staats für die gesell schaftliche Reprodukion und die Kapitalreproduktion. Er hatte sich aber eine Untersuchung des Staats ausdrücklich vorbehalten. Aus dem natürlichen Vorgang, dass er nicht mehr dazu kam, sich damit zu beschäftigen (bekannt lich wegen Ablebens), machen einige heutige Marxisten in makabrer Weise den theoretischen Zusammenhang, dass der Staat als Wirklichkeit (nicht als abgeleitete Funktion) eine bloße 48 Erscheinung sei, der näheren Beschäfti gung nicht wert. Freilich muss die schlichte menschliche Dimension berück sichtigt werden: da antirevisionistisch gestimmt (was durchaus die richtige Perspektive ausdrückt), sprechen sie sich für die Hilflosigkeit des Staats aus, nur um das Gegenteil zu den Revisionisten zu betonen. 2. Eines sei schon hier festgestellt: Ohne organisatorische Einwirkung des Staats findet Kapitalreproduktion nirgends statt - es sei denn, man nehme an, diese ereigne sich gewissermaßen ohne die physische Reproduktion der Gesamtbe völkerung. Für diese interessiert sich das Kapital sehr wenig. Schon deshalb sieht es sich außerstande, gesamtgesellschaftliche Prozesse organisatorisch zu regeln. Darüber aber weiter unten etwas Näheres. 3. Zur Präzisierung: Klassenverhältnisse entstehen nicht politisch, sondern in der Produktion von Mehrwert. Sie organisieren sich aber in der politischen Sphä re als reale Größen. Daher kann der Staat sie auch durch Gesetze regulieren und im politischen Kampf zusammenfassen. 4. Kapitalfraktionen bilden eine stehende Redewendung, ohne dass hier genau eres darüber zu erfahren wäre. Hier nur ein Hinweis zur Klärung: Entgegen landläufig tradierter Meinung der Seminarmarxisten sind Kapitalfraktionen keine festgefügten Kapitalgruppen; sie bilden sich vielmehr und bilden sich um je nach konjunktureller und Akkumulationslage. Das macht sie für die Politik nicht faßbar und daher nicht kalkulier- und kontrollierbar. Kapital gruppen finden sich in der Export- und Währungspolitik zusammen, die in der binnenwirtschaftlichen Kreditpolitik wieder auseinandergehen. Und um gekehrt. Das ist übrigens auch für eine zu erneuernde Beschäftigung mit dem Faschismus wichtig. Die von Jürgen Kuczynski festgestellte, und teilweise richtig analysierte Funktion von Kapitalfraktionen in der Weimarer Zeit bei der Entstehung des deutschen Faschismus und bei der Machtergreifung der Nazis braucht nicht unbedingt als feststehendes Erklärungsschema für alle Zeiten zu gelten. Randgruppen sind freilich meist nur polizeilich existent. Nach der Rationalität des Kapitals gehören sie ausgemerzt. In der gängigen Interpretation wird Marx zuweilen zu einem handfesten Liberalen umgebildet. Staat und Recht zur bloßen Überbauerscheinung zu relativieren, die lediglich die „Ordnung der äußeren Beziehungen der Individuen” und die „Erhaltung des äußeren Friedens” regelt, bildete das intellektuelle Hauptgeschäft der liberalen Aufklärung in Deutschland: von Thoma-sius aus über Gundling (immerhin 1671-1729) bis zum „tiefsten Stand... (der) Wertschätzung des Staats ... bei den Gebildeten” (Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 15. durchgesehene und ergänzte Auflage, Tübingen 1957, S. 455. Und: Wilhelm von Humboldt: Idee zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, 1792). Diverse Papiere, Diskussionsbeiträge, Analysen und Ableitungen materialistisch-dialektischer Art der letzten Zeit in der BRD können ihre bewußtlose Anknüpfung an die ähnlich gelagerte Position des liberalen Bürgertums der deutschen Klassik nicht leugnen. Es bleibt gewiß der Erläuterung und näheren Beschäftigung wert, inwiefern Marx selbst sich an dieses Denken anschließt oder vielmehr sich von ihm beeinflussen läßt. Ein „Liberaler” war er aber bestimmt nicht. Sowohl das eine wie das andere wird im allgemeinen - da bewußtlos - aus purer Ignoranz geleugnet. Auch der Staat kann zu Ende gehen. Darüber weiter unten. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang: Bekanntlich wäre der vereinzelte Arbeiter ohne Gewerkschaften der Willkür des Kapitals ausgesetzt. Ebenso bekannt ist, dass gewerkschaftlich geforderte, staatlich durchgesetzte Urlaubsregelungen als zeitökonomische Einschränkung der 49 Ausbeutung zur Mehrwertproduktion gehören. Dogmatische Ökonomisten aber weigern sich, in einer solchen Regelung einen Eingriff des Staats in die Kapitalverwertung zu sehen. 5. Es ist bekannt, wie wesentlich für die Entwicklung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie gerade diese Unterscheidung sich auswirkte. Aber auch für die praktisch politische Konsequenz ist das Auseinanderfallen von Arbeit und Arbeitskraft von zentraler Bedeutung. 6. Ökonomisch könnte das Kapital unmittelbar, ohne staatliche Vermittlung aus dem erzielten und realisierten Mehrwert auch die gesellschaftliche Reproduktion der Arbeiterklasse besorgen. Denn die Wertmasse, aus der das Kapital die Finanzierung seiner Aufgaben schöpft, entsteht nicht außerhalb der Kapitalproduktion. Auf diesen Widerspruch gehe ich weiter unten noch kurz ein. Zu beachten wäre, dass dieser ökonomischen Möglichkeit offensichtlich keine soziale und politische entspricht. „Die Bourgeoisie hat nicht das Zeug, selbst direkt zu herrschen”, meinte schon Engels. Brief an Marx 13. 4. 1866, MEW 31,208. 11 Die Umpolbarkeit des Proletariats auf den bürgerlichen Staat ist ein gesell schaftlicher Sachverhalt, kein Naturgesetz. Sie kann sich jederzeit verändern und verschwinden. Auch das „Vertrauen” in die Kompromißfähigkeit des Staats ist veränderbar in Zeit und Raum. In der BRD ist es höher - vorläufig - als anderswo. Für den italienischen Arbeiter ist der Staat nur Staat der pa- droni, auch wenn er diesen Zustand nicht bekämpft. 7. 12 Zeichnet sich die Gefahr ab, dass die Politik die Ökonomie überfordert und die staatlich besorgte Klassenreproduktion in den Sozial- und Integrations maßnahmen des Staats akkumulationsdisfunktional ausschlägt, bahnt sich sehr schnell eine „Subversion des Staats in Richtung auf noch autoritärere und faschistische Formen an. Vgl. Agnoli/Blanke/Kadritzke, Vorwort zu Al fred Sohn-Rethel, Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus, Edition Suhrkamp, 1973, S. 23 ff. 8. 13 Aus dem Steuereinkommen. Insofern handelt es sich um eine schwankende Basis, die die jeweilige Akkumulationslage und die finanzielle Grenze der Sozialpolitik anzeigt. 9. 14 Näheres dazu in meinem Aufsatz „Die bürgerliche Gesellschaft und ihr Staat” in: Das Argument 41, H. 6,1966. 10. 15 Man könnte einwenden, diese Verrechtlichung beträfe immer nur die soge nannten „äußeren” Bedingungen der Kapitalproduktion und -reproduktion. Indessen: der bei Marx vorkommende Ausdruck „äußere Bedingungen” hat keinen qualitativen Sinn. Gemeint ist keine sekundäre Wirklichkeit, keine qualitative „Äußerlichkeit” im beschränkten Sinn; vielmehr das, was zwar au ßerhalb des unmittelbaren Konkurrenzverhältnisses, zugleich aber als Be standteil des Kapital- oder genauer des Produktionsverhältnisses innerhalb des wirklichen Prozesses stattfindet. 11. 16 Ideologisch äußert sich die formale Eigenständigkeit staatlicher Macht darin, dass die Staatsorgane auch die Kapitalisten treffen. Diese zählen rechtlich zum Bestand des Volks - die konstitutionelle Folge der allgemeinen Markt gleichheit von Käufern und Verkäufern. Die in der Warenzirkulation sich ver mittelnde Gleichheit drückt sich im gleichen Stimmrecht aus. Alle konserva tiven Versuche, ein Mehrklassenwahlrecht einzuführen, müssen an dieser Bestimmtheit des Wahlrechts scheitern. Eher zu verwirklichen ist entweder eine weitgehende Manipulation der Wahlen (durch besondere Wahlsysteme, Sperrklauseln und so weiter); oder aber die gänzliche Abschaffung des Wahl rechts. Letzteres würde zwar bürgerliche Freiheiten einschränken, das Prin zip der Marktgleichheit aber nicht antasten. 12. 17 Die „ Agenten”doktrin zeigt eine eigentümliche Widersprüchlichkeit. Da Kapi tal nur als Einzelkapital (oder als „Fraktion”) existiert, befände sich der Agent in einer bevorzugten 50 Maklersituation. Widerstreitende Kapitalinteressen ver langen nach einem Kompromiß, oder nach einem entscheidenden Durch bruch. In beiden Fällen stärkt sich die Position der Ausgleichsinstanz. Die Kon sequenz der Agentendoktrin ist die Anerkennung der Eigenmacht des Staats. 13. 18 Trotz der Nötigung zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft besteht keine na turwüchsige Bereitschaft zur Ausbeutung und zur Unterwerfung. Mögen die Psychologen mit der individuellzufälligen Form dieses Problems sich beschäftigen. Politisch sind Befreiung und Freiheit keine Ideale, sondern materielles Bedürfnis eines jeden Unterdrückten. Unter diesem „Trieb”aspekt müßte z. B. Aggression untersucht werden. 14. 19 Auf diese Koppelung geht die Parallelität von Arbeiterunruhen in den Fabri- ken (wilde Streiks usw.) und Ordnungskrisen im politischen System zurück, 15. die die Situation des kapitalistischen Europa seit 1968 charakterisiert. Zu analysieren wäre hier deren Verbindung zum wieder auftretenden Krisenzyklus. 16. 20 Die Regierbarkeit der Gesellschaft bildet immer die größte Sorge der Bour- geoisie. „Alle politisch organisierten Kräfte sind aufgefordert, gegen das Un- geheuer der Unregierbarkeit - die große Bedrohung für die heutige Industriegesellschaft - ins Feld zu ziehen.” La Stampa, Tageszeitung der Agnelli-Gruppe, 20.10.1974. Die Aufforderung erging ausdrücklich auch an die KPI. 17. 21 Dazu gehören sowohl die spontanen Revolten (Reggio Calabria) wie auch die vordergründig bornierten Aktionen gegen Industrie- oder Kernreaktorenbau - eine moderne Form von Maschinenstürmerei. Wichtiger dürften die vielfältigen Formen der von Offe behandelten „Disparitätenkonflikte” sein, deren horizontaler Charakter (Distributionskonflikte) bei einer genaueren Untersuchung des auch in ihnen wirkenden Widerspruchs von Tausch- und Gebrauchswert letztlich in den vertikalen Produktionskonflikt zurückgeht. 18. 22 Eine neue Erscheinung: dass die Kampfkraft der Arbeiter in den zyklischen Krisen nicht mehr in sich zusammenbricht. dass die Insubordination in der 19. Fabrik trotz drohender Massenentlassung nicht aufgegeben wird (nicht nur in Italien, sondern auch in deutschen Betrieben), verschärft die Unkontrollierbarkeit der Krise. 20. 23 Die Hausbesetzungen sind inzwischen in der BRD kriminalisiert worden. In Italien wurden neulich Supermarktbesetzer, die von sich aus die Preise bestimmt, den Verkauf aber weitergeführt hatten, freigesprochen: Die einseitig vom Supermarkt festgelegten Preise widersprächen dem Prinzip des zwischen Käufern und Verkäufern von Waren (z. B. der Ware Arbeitskraft) frei ver-handelten Preises. Die Klassenbezogenheit des bürgerlichen Rechts wird an der BRD-Gerichtspraxis deutlich: Die Besetzung eines Hauses zwecks Verhinderung des Abbruchs gilt als gewalttätiger Rechtsbruch; die Zwangsräumung ganzer Familien zwecks Abbruch gilt als friedlicher Rechtsakt. 21. 24 Ebenso brüchig werden diese Kriterien in ihrer politischen Fassung, in der sie zur simplen Feststellung integrierter, auch bestochen oder aristokratisch ge nannter Schichten von Arbeitskraft-Verkäufern verkommt. 22. 25 Dieser systemnotwendige, gewalttätige Charakter des Kapitalismus kennt auch keine geschlechtliche Grenze. Der „Arbeiter” hier ist zugleich die Ar- beiterin, der Ausgebeutete die Ausgebeutete, der Proletarier die Proletarie- rin. Eine eingehende Untersuchung (und die praktische Erprobung) der Vermittelbarkeit von Klassen- und Geschlechterfront wäre dringend geboten. Sie kann freilich in erster Linie nur von den unmittelbar Betroffenen, von den Frauen, geleistet werden. Gemeinsam auf alle Fälle ist die Absage an Mehrwert und Tauschwert. Es ist 51 nicht alles gewonnen, wenn die Frau sich von der Herrschaft des Mannes befreit, um sich dann als Tauschware Arbeitskraft wiederzufinden. 23. So Guido Carli, Präsident der Banca d'Italia, der italienischen Staatsbank im Jahresbericht 1974, vgl. La Stampa 1.6.1974. 24. Die Verschiebung der Krisenachse wird von den traditionellen Arbeiterparteien nicht beachtet. Das führt zu einer gefährlichen Diskrepanz zwischen der Entwicklungslinie der Klasse und der Generallinie der Partei, deren Strategie immer noch von der ökonomischen Bewegung und vom immanenten Kapitalverhältnis ausgeht und sich weiter bestimmt in der Analyse des „Kräfteverhältnisses” der verschiedenen Gruppierungen der bürgerlichen Gesellschaft, wie es sich in der entsprechenden partei- und parlamentspolitischen Repräsentation manifestiert. Die Klassenlinie entwickelt sich entlang der Negation der Kapitalbewegung. Sie wird durch diese fraglos bedingt, aber nicht bestimmt. 25. In diesem Zusammenhang muss auch die immer deutlicher werdende Verschiebung im Kapital von der Vorherrschaft des Finanzkapitals zur Durchsetzung des Industriekapitals näher betrachtet werden. Die Verschiebung der wesentlichen Krisensituation von der Zirkulationssphäre zurück in die Produktion hängt auch mit dieser Form der Kapitaltransformation zusammen. Dadurch wird der Staat (die „Rahmenbedingung” überhaupt) in das Kapitalverhältnis zurückgerückt (vom Überbau in die Basis), aus dem er in Anlehnung an gelegentliche Äußerungen der „Deutschen Ideologie” orthodox entlassen und von dem er zwecks Legitimation der politischen Generallinie revisionistisch getrennt worden war. 26. „Nutznießer unseres Systems sind Arbeitnehmer”, Rede K. Biedenkopfs über die aktuelle politische Situation aus der Sicht der CDU, am 31. März 1975 in Frankfurt. Vgl. Frankfurter Rundschau 12.4.75, S. 6. Es versteht sich, dass vom entgegengesetzten Klassenstandpunkt aus dieser Sachverhalt anders darzustellen ist: „Staatsmaßnahmen zur notwendigen Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen gegen kollektivistische Umtriebe und zum Schutz der freiheitlichen Ordnung gegen Feinde der Freiheit”. Man merke aber: „Wenn von Freiheit die Rede ist, muss man genau zusehen, ob sich nicht Privatinteressen dahinter verbergen” (Hegel). 27. „Verschwörungstheoretische” Erklärungen führen häufig zu strategischen Fehleinschätzungen. Das ist bekannt. Ebenso bekannt ist ihre wissenschaftliche Dürftigkeit, gerade in materialistischdialektischer Sicht. Andererseits: Es gibt durchaus Herrschaftspläne. Die herrschende Klasse ebenso wie die Träger der politischen Macht versuchen eine ganze Menge von Sozialisationsund Manipulationsmechanismen einrasten zu lassen und suchen nach wirksamen Sozialtechniken. Zuweilen lassen sie ganze Institute zu diesem Zweck arbeiten. 28. Der Versuch, der in letzter Zeit für kapitalistische Gesellschaften eine existenznotwendige Bedeutung gewonnen hat, Distribution von der Produktion zu trennen, das politische Gewicht der letzteren zu negieren, gesellschaftliche 29. Prozesse und deren politische Seite als bloße Verteilungsprobleme auszugeben, habe ich in der „Transformation der Demokratie” erläutert. 30. Das Interesse der Bourgeoisie an der unmittelbaren Machtausübung wird zuweilen überschätzt, auch in der Form seiner Ideologisierung, als ob es also eine Frage politischer Ideale wäre, bestimmte Staatsformen und Regierungsformen durchzusetzen, und nicht eine Frage der Akkumulationsfunktionalität. So mißverständlich auch Gulijew, Demokratie und Imperialismus, Berlin 1972, S. 221: „Das Idealziel der imperialistischen Bourgeoisie besteht natürlich (sic!) darin, sich von der Demokratie zu befreien und das Volk aus dem politischen Leben 52 auszuschalten.” Nun, gerade letzteres war „Idealziel” aller herrschenden Klassen und Gruppen auch in vorimperialistischen Zeiten. 31. Die Frage, ob jede einzelne Staatstransformation sich aus der Kapitalbewegung ableiten läßt, ist eine akademisch-alexandrinische. Der Staat ist geschichtlich Ergebnis der beginnenden Kapitalakkumulation, nicht als Idee, die philosophisch antizipiert wurde (Bodin, z. B.) sondern als Wirklichkeit. Inzwischen ist aus dem Ergebnis eine Voraussetzung der Akkumulation geworden. Seine Transformation hingegen bleibt ein Ergebnis und hängt mit der doppelten Ursächlichkeit von Akkumulation und Klassenbewegung zusammen. 32. Es gibt in dieser Hinsieht kein „Subjekt” der Planung in Form von Planungskommissionen oder allein zuständigen Ministerien. Der Existenzweise des bürgerlichen Staats, also seiner Formbestimmtheit entsprechend handelt es sich um eine „Pluralität” von Instanzen und Subjekten, die teils bewußt, teils naturwüchsig die Aufgabe erfüllen. In bürgerlicher Einschätzung (oder Wunschdenken) gehören die kommunistischen Parteien und Gewerkschaften auch zu dieser Pluralität. 33. Wolfgang Müller/Christel Neusüß: Die Sozialstaatsillusion und der Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital, in: Probleme des Klassenkampfs Sonderheft 1,1971. Müller/Neusüss' Analyse des illusionären und zugleich instrumenteilen Charakters der Sozialpolitik des bürgerlichen Staats trifft durchweg zu und ist meisterhaft; die genauere Einschätzung der Staatsfunktion genau im Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital hingegen ist gründlich verfehlt. 34. Eine ganze Reihe marxistischer Untersuchungen bemüht sich, selbst den Klassenkampf lückenlos unter die Wirkung des Wertgesetzes zu subsumieren, statt dessen doppelte Wirklichkeit zu sehen: die durch die Produktionsweise selbst bedingte Verdoppelung der Natur des Arbeiters. Die Folge solcher Positionen: Die Befreiung erscheint als mechanische Schlußphase eines, durch das Wirken des Wertgesetzes und nicht durch den Kampf des Proletariats zustandegekommenen, Zusammenbruchs der Kapitalakkumulation. 35. Siehe zum Beispiel die Konkurrenz, die unter der Bedingung partieller Monopolisierung und weitgehender Oligopolisierung (der Ausdruck ist bekanntlich bürgerlichen Ursprungs, desungeachtet aber sachgerecht und auch in der Kritik der politischen Ökonomie anwendbar) und der damit zusammenhängenden partiellen Marktplanung neue Formen annimmt - in erster Linie auf dem Weltmarkt, also jenseits eher organisatorisch faßbarer, binnenwirtschaftlicher Nationalbereiche. 40 Carli ist ein Vertreter des Kapitals und kein ideologischer Kritiker des bürger lichen Staats und der Sozialpolitik. Das „Leben der Fabrik” ist nach ihm zu recht das wirkliche Problem: die ökonomische Decke der Produktion soll nicht einstürzen. Die rein staatliche Legitimationsdecke hingegen spielt eine sekundäre Rolle. Die heutige Krise ist - anders gesagt - keine bloße Legiti mationskrise. Dazu: Stephan Leibfrieds Besprechung von Offes „Struktur probleme des kapitalistischen Staates” 1972, in: Politische Literatur, 1/1974, S. 114 ff. 36. 41 Die erste gesetzliche Fixierung: Gesetz vom 25. Dezember 1925, Nr. 2300, über die „Überprüfung der Staatsbediensteten”. 37. 42 Die Frage ist, ob der Staat damit aufhört, bürgerlich zu sein. Ökonomisch bliebe man bei der Mehrwertproduktion und bei der bürgerlich-kapitalisti schen Organisation der Arbeit. Klassenanalytisch gesehen kommt es - wie in Italien, wo über ein Drittel des produktiven Sektors verstaatlicht ist oder mit Staatsbeteiligung arbeitet - zur Bildung eines neuen bürgerlichen Klassen typs, der so genannten „borghesia di stato”. Vor diesem Problem steht die 53 KPI mit ihrem Programm der Ausweitung des Staatssektors bei Aufrechter haltung der kapitalistischen Produktionsweise. 38. 43 O. Kuusinen: „Faschismus, Kriegsgefahr und die Aufgaben der kommunisti schen Parteien”, Referat auf dem XIII. Plenum des Ekki, Moskau 1934, S. 38 ff. 39. 44 Abgesehen von der stofflichen (und nicht bloß definitorischen) Seite, dass der Staat nur dann realiter sich als Kapitalist betätigt, wenn er etwas produzieren läßt und auf dem Markt verkauft: die Stamokap-Theorie, vor allem in ihrer politisch-strategischen Vorstellung einer Ausschaltung der Monopole im Rahmen der „antimonopolistischen”, aber immer noch kapitalistisch produ zierenden Demokratie (vgl. die Anmerkung oben über die KPI) läuft auf eine, bisher nur von bürgerlichen Ideologen behauptete Konstellation hin aus. Werden die Kapitale als Subjekte der Produktionsplanung und der Staat als Subjekt der Gesellschaftsplanung zusammen gefasst, so wird die „Über windung” von Produktionsanarchie und Distributionsungerechtigkeit inner halb der kapitalistischen Gesellschaft für möglich gehalten. 40. 45 So K. Zieschang: Ursachen und Wesen des staatsmonopolistischen Kapitalis mus, in: Sozialistische Politik 24, 1973, S. 24: Der Staat tritt als Wert- und Mehrwertproduzent nicht auf, sondern er setzt sich ein, um „den monopolisti schen Ausbeutungsprozeß auszudehnen und zu vertiefen” durch Bereitstel lung entsprechender Rahmenbedingungen. 41. 46 Anders in der Stamokap-Vorstellung, nach der der Staat tatsächlich als Kapi talist fungieren muss - und zwar in seiner Gesamtform: „Das Kapitalverhält nis (kann) nur noch aufrechterhalten werden, indem der kapitalistische Staat selbst als fungierender Kapitalist auftritt”, in: Der Imperialismus in der BRD, Berlin 1972, S. 251. 42. 47 Mit dem Erlös der Alfawerke müßte der italienische Staat für die reibungs lose Verwertung des Fiat-Kapitals sorgen. Richtig am Verhältnis ist aller dings, dass der Staat keine Markt- und Preispolitik betreibt, die zu einer ruinösen Konkurrenzsituation der Privatkapitale führt. Man kann dies als Zeichen der Interessenverschmelzung von Privat- und Staatskapital betrachten, gewiß nicht als eine willfährige Politik zugunsten der Monopole. In Wirklichkeit ist es das Kapitalerfordernis selbst, das jenseits der juristischen Eigentumsform auch den Kapitalisten Staat zwingt, die gleiche Preispolitik zu betreiben wie die Privatkapitalisten. 43. 18 Dabei bestätigt sich auf der stofflichen Seite sowie auf der personellen Ebene, also in der innerbetrieblichen Struktur das Organisationsprinzip der kapitalistischen Produktion als eines Verwertungsprozesses. Der Staatsmanager tritt als hierarchische Spitze der staatlicherseits auf dem Arbeitsmarkt gekauften 44. Arbeitskraft mit der gleichen Kommandogewalt entgegen, wie sonst ein jeder Privatmanager. Selbst für die Schaffung des „besseren Betriebsklimas” und für die Herbeiführung humanerer Fabrikzustände nützt in unserer Gesellschaft die Verstaatlichung der Betriebe gar nichts. Die Verrechtlichung des Arbeitskampfes und die Verstaatlichung seiner Träger (Parteien und Gewerkschaften) - der Kern der Gesellschaftsplanung -treffen die Organisationen, weniger die Klasse, sofern sich diese nicht lückenlos mit den Organisationen identifiziert. Gegen eine autonom gewordene und autonom handelnde Klasse (die aus den Organisationen immer noch Instrumente machen kann) sind sie stumpf, Dazu J. H. Goldthorpe: „Die britische Arbeitskampfverfasssung”, in Leviathan M1A, S. 499. Goldthorpes Aufsatz gehört zu den wichtigsten Beiträgen über dieses Thema.

Liebe Leserinnen und Leser von endederrevolutionen.de: Wenn Sie den Text bis hierher aufmerksam gelesen haben, werden Sie sich vermutlich für die Texte von Alfred Sohn-Rethel und andere aufklärerischen Texte auch interessieren: Wissenschaftliche Studien über den Staat. Verständliche Zusammenfassungen dieser Texte der Aufklärer sollen nach der kommenden Bundestagswahl im September 2020 über die wichtigsten Studien im Zusammenhang mit der Kritik der Politik geschrieben werden. Sie sind zusammengefasst vielleicht leichter zu lesen. Auf endederrevolutionen.de soll ein wissenschaftlichen Diskurs über die Verhaltensweisen von Menschen geführt werden. Eines dieser modernen Foren, hier das U.S. amerikanische Forum Quora, soll einmal auch zur Aufklärung über den Leviathan, wie sich Thomas Hobbes zum Beispiel den Staat vorstellte und über seinen geistigen Nachfolger John Locke und später noch David Hume, der allemal als Staatstheoretiker diesen erstgenannten Theoretikern aus menschlichen Gründen vorzuziehen wäre. Hume besaß nicht das Wohlwollen der Krone in England, die Erstgenannten schon. Durchaus darf die Situation mit dem Verhältnis der Staatstheoretiker heute mit dem Staatstheoretiker, der als schweglerscher Maulwurf nicht überall bekannt werden wird, weil die öffentlichen Medien ihn meiden, wie früher die Gläubigen und unwissenden Menschen die Pest.

Alles soll einmal verständlich in Diskussionen mit einfachen Menschen vorgestellt werden. Kein öffentliches modernes Medium kann dafür taugen. Ihre ständigen öffetlichen Inszenierungen wären nicht mehr möglich und mit Ideologen setzt sich ein Maulwurf nicht an einen Tisch, möge dieser auch rund sein und einem Maulwurf außerordentlich saftige Würmer anbieten; im Vertrauen versteht sich. Ganz früher meidete nur Einer nicht die jüdischen Aussätzigen, der wie er dachte, der Nazarener. Aber auch dieser war von anderem Stande als der Autor dieses Weblogs.

Auch die sogenannten Stände sind bis heute zwar förmlich abgeschafft, inhaltlich aber keineswegs. Das bestimmt zwar das Gesetz anders, aber das ist so eine Sache, über die auch einmal öffentlich aufgeklärt werden sollte. Aufklärung über abartige Sprüche, etwa dieser von dem "Alten Fritz", er wäre als König von Preußen der "Erste Diener im Staate" ist allemal einer Aufklärung wert. Dieser Satz und viele derart ähnliche sind protokollierte Ansprachen des Teufels. Nach der bürgerlichen Aufklärung muss eine neue verständliche radikale Aufklärung über das Ergebnis der bürgerlichen Aufklärung beginnen und diese Aufklärung ablösen. Sie hat den Teufel auf den Thron gesetzt. Der Plan Luzifers ging weltweit auf. Das Zinsnehmen wurde gesetzlich gechützt und das Ergebnis, das absolute Zinsverbot, beschlossen auf dem 5. Lateranskonzil im Jahr 1517, konnte wenige Monate danach mit der erneuten Versuchung des Teufels zu Fall gebracht werden. Aber er kann nur solange auf unserer Erde herrschen, solange wir an ihn glauben. Wie Christus nur herrschen konnte, solange die Menschen an ihn glaubten. Stürzt den Teufel vom Thron und schafft jetzt, im Angesicht des bedrohlichen Klimawandels, endlich drei völlig unabhängige Körperschaften: Legislative, Exekutive und Judikative. Schafft aber noch eine Stelle für eine Präsidentin, die auch männlich sein darf, damit die Gesetzesvorlagen der legislativen Körperschaft in ihrem oder in seinem Namen verkündet werden kann. Nicht das Volk soll herrschen, allein das Gesetz soll herrschen.

Die Voraussetzungen für eine neue Zeit wären damit geschaffen, wenn in der Körperschaft der Legislative der Charakter einer gesetzgeberischen Gewalt abgeschafft und mit der Einrichtung von zwei völlig unabhängigen Kammern diese Körperschaft neu eingerichtet würde.
Dann können die Wählerinnen und Wähler dieser Körperschaft vertrauen und die in allen Körperschaften arbeitenden Menschen könnten uns, dem kantischen Pöbel, vertrauen. Gemeinsam könnten wir einmal feierlich das Grundgesetz mit einem neuen ersten Artikel ergänzen. Anstelle der Würde des Menschen, könnte dort die Autonomie des Menschen, sein freier Wille, geschützt und garantiert werden. Um die Würde des Menschen kümmert sich der Mensch besser gemeinsam mit anderen Menschen selber. In einem Staat, in dem einmal das Vertrauen Verfassungsnorm werden soll, ist das anders gar nicht denkbar.
Nutzen Sie Ihre Erststimme und wählen sie auf der Liste der Erststimmen diejenigen Kandidinnen und Kandidaten, die sich nur den Wählerinnen und Wählern vorstellen und keine Politik machen wollen. Diese Menschen arbeiten freiwillig an der Gestaltung künftiger Gesetze im Diskurs mit den Politikern der Zweiten Kammer zusammen. Mit dem soliden Fundament des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist hierzulande eine hervorragende politische Ausgangslage geschaffen. Freiwillig und ordentlich bezahlt, aber ohne weitere Einkünfte, wie diese von den Politikern der Zweiten Kammer selbstverständlich sind, würden sie mit ihrer persönlichen Meinung die Kritik der politischen Ökonomie immer allein im Kontext des Klimawandels kundtun. In gemeinsamen Wirken durch Herstellung demokratischer Mehrheiten sollen künftig die notwendigen Gesetze dem Souverän überbracht werden, das in seinem Namen das Gesetz verkündet. Die Legislative bekommt mit ihm und den Menschen in den beiden Kammern der Legislative menschliche Gesichter. Im Namen des Souveräns erhält ein Gesetzentwurf Gesetzeskraft.

Nutzen wir diese historische Chance. Der Gleichgewichtswert von 28o ppm Kohlenstoffdioxidanteil in unserer Atmospäre ist bereits mit inzwischen 420 ppm viel zu hoch angestiegen und dieser Wert wird nicht mehr sinken. Er kann theoretisch nur weiter steigen! Bitte verstehen Sie das. Zumindest logisch müssen wir -nicht sollten wir - die kommende Wahl nutzen, um weitere Zuflüsse der Verbrennungsgase durch die Verbrennung allein des Carbons möglichst sofort zu stoppen.

Persönlich jedenfalls bereite ich den Weg zu einer Ersten Kammer vor und mir verbleibt im Oktober dieses Jahres wenigstens die Logik. Sie würde gar veredelt, weil die Logik sich bewahrheitet und das Absurde gekrönt hat. Bereiten wir uns aktiv einmal vor: Gegen das Absurde, für die Aufstellung von Kandidaten in unseren 299 Wahlkreisen und entscheiden Sie sich mit Ihrer Erststimme für eine neue Zeit. Die Zweitstimme lasst ruhig laufen, die können sich was kaufen.

Kümmert euch um die Liste, die Zeit wird knapp.