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Montag, 13 Januar, 2020
Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social, Buch 4, Kap. 8
"Wer zu sagen wagt, “außerhalb der Kirche gibt es kein Heil”, muß aus dem Staat verjagt werden."
Ich wage es. Ich denke an den Katholizismus aber keinesfalls an die katholische Amtskirche. An die Kirche, von der auch Erasmus von Rotterdam überzeugt war, dass an ihr trotz der Übel und den allerwiderwärtigsten Verbrechen, die von den Pontifizes der katholischen Kirche zu verantworten sind, festgehalten werden muss; weltumspannend: Mit Spinozas „Deus sive Natura“ haben wir gar keine andere Wahl wenn diese Erde, die auf wunderbare geheimnisvolle Weise geschaffen wurde, erhalten werden soll: Wer nimmt uns das Recht, diese Heilsbotschaft zu erfahren, nachdem wir auf diese Welt gekommen sind?
Mit dieser Heilsbotschaft können wir die Jahre, in denen wir auf dieser Erde leben, in wahrem Humanismus leben; wenn wir stark genug sind und uns vor ihm nicht fürchten: Vor diesem Staat, von dem Nietzsche so treffend berichtet hat:
„Irgendwo gibt es noch Völker und Herden, doch nicht bei uns, meine Brüder: da gibt es Staaten. Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt tut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich euch mein Wort vom Tode der Völker. Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: »Ich, der Staat, bin das Volk.« Lüge ist's! Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten einen Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben. Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für Viele und heißen sie Staat: sie hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin. Wo es noch Volk gibt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als bösen Blick und Sünde an Sitten und Rechten. Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und Bösen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten und Rechten. Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten und Bösen; und was er auch redet, er lügt – und was er auch hat, gestohlen hat er's. Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beißt er, der Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide. Sprachverwirrung des Guten und Bösen: dieses Zeichen gebe ich euch als Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses Zeichen! Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes! Viel zu Viele werden geboren: für die Überflüssigen ward der Staat erfunden! Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er sie schlingt und kaut und wiederkäut! »Auf der Erde ist nichts Größeres als ich: der ordnende Finger bin ich Gottes« – also brüllt das Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzgeäugte sinken auf die Knie! Ach, auch in euch, ihr großen Seelen, raunt er seine düsteren Lügen! Ach, er errät die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden! Ja, auch euch errät er, ihr Besieger des alten Gottes! Müde wurdet ihr im Kampfe, und nun dient eure Müdigkeit noch dem neuen Götzen! Helden und Ehrenhafte möchte er um sich aufstellen, der neue Götze! Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen, – das kalte Untier! Alles will er euch geben, wenn ihr ihn anbetet, der neue Götze: also kauft er sich den Glanz eurer Tugend und den Blick eurer stolzen Augen. Ködern will er mit euch die Viel-zu-Vielen! Ja, ein Höllenkunststück ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz göttlicher Ehren! Ja, ein Sterben für Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben preist: wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes! Staat nenne ich's, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord Aller – »das Leben« heisst. Seht mir doch diese Überflüssigen! Sie stehlen sich die Werke der Erfinder und die Schätze der Weisen: Bildung nennen sie ihren Diebstahl – und Alles wird ihnen zu Krankheit und Ungemach! Seht mir doch diese Überflüssigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen ihre Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und können sich nicht einmal verdauen. Seht mir doch diese Überflüssigen! Reichtümer erwerben sie und werden ärmer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel Geld, – diese Unvermögenden! Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern über einander hinweg und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe. Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es, – als ob das Glück auf dem Throne sässe! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron – und oft auch der Thron auf dem Schlamme. Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Überheiße. Übel riecht mir ihr Götze, das kalte Untier: übel riechen sie mir alle zusammen, diese Götzendiener. Meine Brüder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mäuler und Begierden! Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in's Freie! Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der Götzendienerei der Überflüssigen! Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem Dampfe dieser Menschenopfer! Frei steht großen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch viele Sitze für Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht. Frei steht noch großen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armut!Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht überflüssig ist: da beginnt das Lied des Notwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise. Dort, wo der Staat aufhört, – so seht mir doch hin, meine Brüder! Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Brücken des Übermenschen? – Also sprach Zarathustra.“
Wagt er es zu sagen, dass wir Nietzsche nicht lesen und statt dessen uns seinem volonté général unterwerfen sollen? Diese hat uns Auschwitz beschert!
Heute wissen wir: Mit Auschwitz endete nicht dieser volonté général. Im Führerstaat der westlichen Wertegemeinschaft, den Vereinigten Staaten von Amerika, morden sie nach wie vor wie anderswo auch. Es wurde bekannt. Diejenigen, die es nicht nur bekannt gemacht und, trotz der Gefahr um ihr Leben, dokumentiert und belegt haben, werden strafverfolgt. Sie hätten Geheimnisse des Staates verraten. Aber nicht erst seit Nietzsche könnten wir wissen, dass das keine Geheimnisse sind. Er mordet überall und schon immer: In Nord und Süd, Ost und West, mit diesem Ding ist kein Auskommen nur Tod, wenn man sich ihm nicht unterwirft und ihn arbeitet.
Wir dürfen uns vor dem Staat nicht wieder fürchten. Er ist längst übermächtig und wird uns zerdrücken wie eine Wanze, wie Luther schon den Erasmus zerdrücken wollte. Das müssen wir alles begreifen. Wenn wir das begriffen haben werden wir die Gesetze ändern.
Hinter dem Staat verbergen sich die politischen Kader der Staaten. Die sorgen dafür, dass wir das nicht begreifen, denn die Einkommen und die Sicherheit dieser Sichsorgenden hängen davon ab. Deshalb geben sie sich als Wertegemeinschaft aus und scharen andere Sichsorgende um sich; so fühlen sie sich sicherer. Sie handeln natürlich nie in eigenen Namen, sie handeln und sorgen sich im Namen des Volkes. So steht es in den bürgerlichen Gesetzbüchern, dort schreiben sie das immer ab und befehlen, damit sie weiter darin abschreiben können. Keiner soll ein anderes Gesetzbuch haben! Unsere Brüder und Schwestern, die sich bereit erklären, ihre Befehle auszuführen, darf man nicht Mörder*innen nennen; das haben sie auch in das Bürgerliches Gesetzbuch geschrieben und sagen unseren Brüdern und Schwestern, die gemordet haben, dass sie keine Mörder*innen sind. So einfach ist das.
Wagen sie es also? Wir dürfen uns, auch wenn die Gesetze sich nicht ändern, aber nicht fürchten. Und wenn er kommt und er es wagt, sollten wir ihn, wenn er uns mordet, keines Wortes würdigen. Das sind wir den Toten von Auschwitz schuldig.
Ob Julian Assange die USA eines Wortes noch würdigt, wissen wir nicht. Er ist noch ein lebendiger Beleg, dass Nietzsche das sehr genau geschrieben hat; vergesst seine Worte nicht. Julian Assange ist nur einer von Vielen, die meist namenlos leiden; keiner kümmert sich um ihre Namen. Egal ob einer oder Millionen, nie dürfen bei Leiden von Menschen Zahlen eine Rolle spielen.
Edited on: Freitag, 14 August, 2020 9:58
Categories: Der einfache Mensch
Homo homini lupus
E.M.schrieb: Sie schreiben von herrschaftsfreier Zeit, wie soll die aussehen? Homo homini lupus, so war das schon immer. Es braucht eine weise Regierung die dafür sorgt, daß die Menschen nicht übereinander herfallen, daß die Starken sich nicht an den Schwachen vergreifen und daß jeder eine Chance im Leben bekommt. Darüber hat man sich zu allen Zeiten Gedanken gemacht und es gab verschiedene Antworten auf die immer gleiche Frage: welche Struktur braucht eine Gesellschaft, in der alle ihr Auskommen finden und keiner "hinten runter fällt"? Tut mir leid, allein aus dem guten Willen aller Beteiligten kann daraus nichts werden. Wir Menschen sind nun einmal ein Lumpenpack.
Antwort: So schrieb das selbst Thomas Hobbes nicht. Er benutzte diesen Ausdruck als Beschreibung für das Verhältnis zwischen den einzelnen von Menschen geschaffenen Staaten. Das ist eine lange Geschichte. Der Satz stammt auch aus einer römischen Komödie; wir sollten sie enden lassen. Der Mensch ist anders. Richtig allerdings ist, dass die Freiheit des Menschen Grenzen haben muss. Dafür habe ich das System der Nutzungs- und Stimmrechte über den Boden geschrieben. Mit diesem praktischen System behaupte ich, eine neue Form der Begegnung des Menschen mit Natur gefunden zu haben.
Calvin ungeschoren?
E.M. schrieb: Über fassadenkratzer fand ich einen link zu Ihnen und komme nun mit einer Frage: wenn Sie so auf Luther (und Jefferson) schimpfen, warum lassen Sie dann Calvin ungeschoren? Dessen Prädestinationslehre entschuldigt doch alles, jede Umweltsauerei, wenn sie durch materiellen Erfolg gekrönt ist und somit beweist, daß auf dem Ausübenden Gottes Segen liegt. Es scheint dem Charakter vieler Niederländer und Schweizer sehr entgegenzukommen, denn dort blüht der krasse Materialismus.
Antwort: Ich hoffe, ich schimpfe nicht über Luther und Jefferson. Damit kritisieren Sie mich doch heftig. Vielleicht meinen Sie das aber anders. Richtig weisen sie auf Calvin hin, der dem Kerygma des Martin Luthers noch eine besondere Form "mit Zeigefinger" hinzugefügt hat. Mit Luther und Jefferson habe ich mich in wissenschaftlicher Manier befasst, ihre Texte und Biografien studiert; deshalb ärger ich mich, dass Sie einen Schimpf über diese Theologen meinen Texten entnehmen. Das wollte ich nicht. Über Personen wie Stalin oder Hitler würde ich auch nicht schimpfen, dafür waren die Persönlichkeiten zu sehr Unmensch und Begriffe, die solche Menschen ordentlich und intersubjektiv erklären gibt es in den verschiedenen Kulturen nicht. Die Kulturen sind und waren überall geprägt von Herrschern; eine herrschaftsfreie Zeit läge also erst vor uns, wenn sie überhaupt einmal Weltgeschichte schreibt; und deshalb konnten sich gemeinsame Begriffe nicht bilden.
Auf eine Nachfrage zu Luther antwortete E.M: Luther hat feststellen müssen, daß die Bauern, wenn man sie gewähren ließ, zu mordendenden Gesindel wurden, ähnlich wie die Antifa in Connewitz. Nachdem er ihr Anliegen zunächst unterstützte, revidierte er seine Position wieder, daher endete das erste soziale Experiment auf deutschem Boden leider blutig. Aber ich denke, da ich von der naturwissenschaftlichen Seite komme und Sie von der geisteswissenschaftlichen, haben wir eine völlig verschiedene Basis für unsere Erkenntnisse. Aus meinen Jahren in Afrika, welche mir tiefe Einblicke in die Natur des Menschen bescherten, brachte ich als Quintessenz Folgendes mit:
Antwort: Wir schauen völlig unterschiedlich auf die Zeit Luthers. Zur Geisteswissenschaft bin ich übrigens nie vorgedrungen, dort wollte ich nie hin; ich blieb bei den Menschen. Mein Studium war zunächst rein naturwissenschaftlich. Die Seminare zur "Geschichte der exakten Naturwissenschaften" haben mich in den Jahren 1973 bis 1975 auch in die Zeit Luthers geführt. Neben naturwissenschaftlichen Grundlagen lernte ich viel Persönliches der Menschen, die zu Beginn der Moderne wirkten, nachhaltig wirkten.Vieles lernte ich so erst verstehen und Ernst Bloch hat mir später erklärt, was es mit der Geschichte um Thomas Müntzer auf sich hat. Der Schlüsselbegriff, der über diese Zeit hervorragend über Luther aufklärt ist der der Allmende. Würden wir und in dieser Sache einig werden, wären wir weit aufeinander zugegangen. Ich danke Ihnen sehr für Ihre wertvollen Antworten.